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  Titel Im Radio das Radio vergessen


B.: Arnfrid Astel, du hast Einwände gegen den Begriff ›Radiotop‹, der an eine vor ein paar Jahren eingestellte Reihe vielfältigster Radioexperimente des Saarländischen Rundfunks erinnert? – Des Senders, dessen Literaturabteilung du viele Jahre leitetest.

A.: Mir erschien dieser Begriff immer fragwürdig, weil er eine Pseudowissenschaftlichkeit in das Radio hineinbrachte. Ein Isotop ist wohl ein instabiles Element, das radioaktiv ist. Radioaktive sind wohl aktiv gewesen im Radio, ich hoffe aber, wir haben nicht die Leute verseucht durch Radioaktivität. Dieses Sich-selbst-interessant-machen des Radios, indem es sich pseudonaturwissenschaftlich gibt, das liegt mir nicht.

B.: Ich mutmaßte, du wärest deshalb nicht einverstanden gewesen, weil dich ›Radiotop‹ an ›Biotop‹ erinnern würde, an etwas Geschütztes, Schützenswertes.

A.: Nein – an Isotop und Radioaktivität. Biotop wäre mir sehr sympathisch, wenn es Deutsch wäre.

B.: Wieso Deutsch?

A.: Biotop ist ja kein deutsches Wort.

B.: Ich dachte, du hättest überdies Einwände gegen das Abschotten, das der Begriff ›Radiotop‹ suggeriert?

A.: Das auch. Aber da kommen wir schnell in den Verdacht, Reinerhalter der deutschen Sprache sein zu wollen. Andererseits sehe ich, daß die deutsche Sprache längst kapituliert hat vor der Computersprache und der sogenannten Digitalisierung. Und wenn man jemanden erinnert, woher Digitus kommt, nämlich vom Finger und vom Daktylus – lang, kurz, kurz, eine rhythmische Einheit, die vom Finger abgenommen ist – weiß das niemand mehr. All diese künstlich sich für intelligent haltenden Leute gebrauchen diese Worte, ohne zu wissen, was sie heißen. Aber kommen wir zur Sache. Ich denke, daß die Literatur, die ich vertreten habe im Rundfunk, interessant genug ist. Sie benötigt nicht einen übergestülpten interessanten Kittel. Man muß für sie nicht ein epochemachendes Jingle entwerfen, damit jeder sofort merkt: Hier ist die Deutsche Wochenschau.

B.: Was ist ein Jingle?

A.: Bin ich schon wieder reingefallen.

B.: Wird im Rundfunk hauptsächlich Modesprech gepflegt?

A.: Ja, ich will aber auch deine Frage beantworten. Jingle ist eine Ankündigung. Beim Fernsehen nennt man das Trailer. Das sind diese scheußlichen Sachen vor dem Film, wo alles zusammengeramscht wird. Verweildauer anderthalb Sekunden, wenn's hoch kommt.

B.: Würdest du bitte beide Begriffe übersetzen?

A.: Jingle habe ich mal nachgeschlagen, aber wieder vergessen. Trailer, das hängt wohl mit dem Treidelpfad zusammen, mit Treideln – der Mensch, der dich im übertragenen Sinn in die folgende Sendung hineinziehen soll.

B.: Zurück zum Modesprech: Du hast 37 Jahre lang Rundfunk gemacht. Was hat sich in diesen Jahren verändert? Ökonomisch, technisch, ästhetisch.

A.: Ich habe mich nicht darum gekümmert. – Um das Ökonomische nicht, denn wir müssen ja nichts verkaufen. Die Leute im Funk sagen immer: Ihr müßt die Sendung verkaufen. So wie die anderen Journalisten auch, wenn sie von einer Zeitung leben, die eine marktwirtschaftliche Firma ist. Wir bei einer öffentlich-rechtlichen Anstalt mußten eigentlich nichts verkaufen. Also habe ich hochnäsig weggehört, wenn davon die Rede war, auch von den Einschaltquoten. Was sich technisch verändert hat, hat mich auch nicht betroffen. Ob das nun digital aufgenommen wird oder mit dem Tonband bei welcher Geschwindigkeit auch immer, es ist vollständig gleichgültig. Es kommt nämlich raus, was reinkommt. Das heißt, es kommt nicht auf die technischen Mittel an, mit denen es produziert wird, sondern es kommt auf die Dummheit und Klugheit der Leute an, die es machen.

B.: Zur Dummheit oder Klugheit später noch. Zunächst sehe ich die Gefahr, daß die, die nicht hingucken, weil es sie nicht interessiert, mit dafür verantwortlich sind, daß die öffentlich-rechtlichen Anstalten immer mehr computerisierte Abspielprogramme anbieten: egal, ob es sich um Pop-Musik oder klassische Musik handelt. Ich höre heute drei mal in der Woche morgens den Winter von Vivaldi (demnächst wohl den Frühling), den dritten Satz des Dritten Brandenburgischen Konzertes, das Ständchen und ein paar Stücke mehr, jedoch wochentags zum Beispiel keine Orgel- oder Chormusik, geschweige denn Kompositionen, die mir etwas als Entdeckung bedeuten könnten.

A.: Diese Entwicklung habe ich bemerkt, aber versucht, sie an mir vorbei zu leiten. Ich bin zwar belästigt worden von solchen Ansinnen, habe aber nie solche Programme gemacht. Das geschah im sogenannten ›kulturellen Wort‹ ja auch seltener als in anderen Bereichen, etwa im Ersten Programm ›Unterhaltung‹. Auch in den sogenannten ›seriösen‹ Musiksendungen traf man das relativ selten, obwohl die Tendenz zunimmt, daß der Discjockey oder der Moderator im kulturellen Programm auch selbst die Maschinen bedient. Per Knopfdruck bekommt er das Richtige, ohne daß dem eine detaillierte Programmgestaltung zugrunde liegt. Der kulturelle Bereich hat sich jedoch weitgehend dagegen behaupten können.

B.: Selbst wenn du sagst, du hättest dich um diese Tendenz in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt nicht sehr gekümmert, muß dich doch eins wirklich interessiert haben: Öffentlichkeit herzustellen. Wenn ich bemerke, daß diese Öffentlichkeit schwindet, weil der Redakteur sie nicht umwirbt, daß wichtige politische Informationen zugunsten längerer Stau-Warnungen verschwinden, dann muß ich deinen Standpunkt verantwortungslos nennen.

A.: Ja, bewußt. Ich glaube, wir müssen nicht Öffentlichkeit herstellen, sondern ihr etwas anbieten, wovon sie Gebrauch machen kann – kostenlos übrigens. Werbung hingegen ist eine Sache für sich. Dafür gibt es auch ein eigenes Management, Verantwortliche auch im Rundfunk, obwohl der öffentlich-rechtliche Rundfunk ohne kommerzielle Werbung gedacht ist. Er soll sich von Gebühren ernähren – ursprünglich. Das könnte er übrigens auch, wenn er anders wirtschaften würde. Also: Ich muß keine Öffentlichkeit herstellen. Ich stelle für mich als Autor keine Öffentlichkeit her, ich schreibe und veröffentliche Bücher. Ob die Bücher nun ihre Runde machen oder nicht, ich laufe nicht mit dem Bauchladen durch die Gegend und verkaufe die Bücher an meine Freunde.

B.: Den Bauchladen will ich gar nicht, aber ich möchte dir zuhören – zuhören können. Ganz sicher willst du Öffentlichkeit herstellen, sonst hättest du dich nicht vor das Mikrophon gesetzt. Inzwischen gibt es jedoch immer weniger Möglichkeiten, überhaupt jemandem zuzuhören. Weil ich als Teil der Öffentlichkeit daheim von meiner Anstalt bis zum Verdruß immer mehr dritte Sätze der hinreichend bekannten Kompositionen, verbunden von farbenfroh-launiger Gedankensülze, vorgesetzt bekomme. Einstündige Gespräche oder sogar längere wie Zwischentöne im DeutschlandRadio sind selten, und ich muß meinen Tagesablauf umstellen, wenn ich sie hören will. Für geistliche Musik etwa müßte ich sonntags um 6.10 Uhr das Radio einschalten.

A.: Wenn man so eine Sache macht an der selben Stelle und zur gleichen Zeit – und ich war immer dafür, sorgsam Hörgewohnheiten zu pflegen –, dann spricht sich herum, wo und wem man in einer Stadt oder in einem Land zuhören kann. Ich denke nicht, daß da immer die Werbetrommel gerührt werden muß, weil nämlich die Werbetrommel ihre eigene Ästhetik hat. Die wirkt zurück auf das Programm. Wir hatten im Kulturradio oft die Diskussion, ob wir für unsere Sendungen Werbung machen müßten. Und dann kam wieder die Werbeästhetik – womit wir erneut beim Jingle sind – ins Spiel: die Marktschreier, die auf eine ästhetisch völlig andere Art, als es die Gesichtspunkte der Literatur, der Musik oder der Kunst sind, für etwas Reklame machen. Dieses Werbedesign schlägt hinein in die Ästhetik der Sache. Deshalb wollten die Verantwortlichen immer funkisch werden. Das heißt, meine Chefs haben mir stets nahe gelegt, das sei zwar alles gut und schön, aber nicht funkisch genug.

B.: Was heißt funkisch?

A.: Das habe ich sie auch gefragt.

B.: Werbeästhetik plus schlechter Sendeplatz mal Lautstärke plus ein Thema?

A.: Funkisch heißt Schauspielerei, die vollkommen tut, aber mit der Sache wenig zu tun hat: das Flotte, das Verkürzen von Programmbeiträgen, im ersten Programm 90 Sekunden als oberstes Limit. Aber ich habe Stundensendungen gemacht, 37 Jahre lang. Weißt du: Das Radio ist gar nicht so wichtig. Ich habe immer meinen Gesprächspartnern gesagt, das Wichtigste und das Schwierigste zugleich ist, bei einem Gespräch im Radio das Radio zu vergessen. Es ist ein Gespräch über eine Sache, einen Gegenstand, so, wie es schon vor 2000 Jahren üblich war.

B.: Wir wollen trotzdem über das Radio sprechen, und ich fragte zuvor, was sich verändert hat ökonomisch, technisch, ästhetisch?

A.: Ich dachte ja, ich hätte mir das schon vom Halse geredet, aber du redest es mir wieder dran an den Hals. Technisch verändert sich dauernd etwas, denn auch der Rundfunk wedelt mit der Schwanzspitze der Industrie. Es gibt beständig Neuerungen. Die alten Maschinen, die es vollständig tun, werden abgeräumt, und die Industrie bestückt uns mit neuen. Zur Zeit heißt die Modewelle Digitalisierung. Und wenn einer geht, wird – wie in meinem Fall – die Stelle nicht wieder besetzt, so daß mein Freund Ralph Schock, mit dem ich die Arbeit in der Literaturredaktion machte, sie jetzt allein bewältigen muß.

B.: Warum wolltest du vor 37 Jahren zum Rundfunk?

A.: Weil ich gehört hatte, daß das möglich ist. Ich hatte mich natürlich ständig um Literatur gekümmert. Als Student gab ich eine Literaturzeitung heraus und habe, statt ordentlich zu studieren, Bücher von zeitgenössischen Autoren rezensiert: das erste Buch von Enzensberger, Günter Grass mit seinen Anfangsbüchern, Erich Fried und, und, und – auch irgendwie erfolgreich.

B.: Du hast Autoren entdeckt?

A.: Für mich und andere mit, indem ich sie rezensierte. Nicht Enzensberger und Grass, aber vergleichbare Leute. Wondratscheks erste Gedichte standen in den Lyrischen Heften, und die erste Ausgabe von Brodskij, der später den Nobelpreis bekam, erschien als Sonderheft der Lyrischen Hefte, die ich herausgegeben habe. Ich sage das, weil es nicht darauf ankommt, funkisch zu sein, sondern weil du ein leidenschaftliches Verhältnis zur Literatur haben mußt. Es schadet auch nicht, wenn du selber welche produzierst. Aus diesem Grund ging ich zum Rundfunk.

B.: Wurde das Funkische zu einem Druckmittel, als die Privatsender aufkamen?

A.: Da wurde es ganz entschieden stärker. Wobei ich sagen muß, daß der Saarländische Rundfunk auch ein Vorreiter der Privatsender war. Die Europawelle Saar wurde weitgehend von RTL kopiert. Leider ist der Sündenfall nicht außerhalb, sondern innerhalb des Hauses geschehen.

B.: Kannst du den Sündenfall ein wenig beschreiben?

A.: Dieses schnelle, muntere, kurz angebundene Immer-schon-da-sein. Diese Wecker-Mentalität: frisch in den Morgen, Kürzestnachrichten, faul im Nachfragen. Das Funkische könnte man vergleichen mit der künstlichen Aufregung (oder der natürlichen?) eines Fußballreporters im Radio. Ich will diesen Leuten mal zugute halten, daß eine Rasanz die Ästhetik prägte. Diese Rasanz abgesondert vom Gegenstand ist das Funkische.

B.: Du hast anfangs von Dummen gesprochen. Also gibt es auch Kluge?

A.: Ja, sonst wäre die Dummheit nichts wert. Aber ich denke nicht dünkelhaft, ich denke über die Klugheit ganz anders. Wieder ein Beispiel: Man hat uns gesagt, Ihr müßt den Hörer dort abholen, wo er sich befindet. Meine Formulierung dagegen war: den Hörer dort abholen, wohin wir ihn verschleppt haben. Die Leute haben nicht Wünsche, die wir befriedigen müssen. Die Wünsche haben wir hergestellt. Das heißt: Wir haben programmiert, bevor ein Programm von uns verlangt wurde. Und wie haben wir programmiert? Eine Rundfunkanstalt ist eine Bildungsanstalt: Aber wenn da nur leichtbekömmlich Klöppelsachen angeboten werden, macht das die Leute nicht klüger. Die wollen dann immer nur leichtgeklöppelte Klöppelsachen und schließlich Dackelpflege und Lebenshilfe. Man kann also nicht sagen, wir müßten die Leute da abholen, wo sie sich befinden. Die Hörer sind nicht so blöde. Noch einmal zur Klugheit: Man hat uns gesagt, wir müßten uns einfältig oder sogar dumm stellen. Meine Entgegnung: Ich bin mir dumm genug, ich brauche mich nicht zu verstellen, ich hoffe, die Hörer können mich auch so verstehen.

B.: Programm-Machen, das Wort hatte ja mal einen guten Klang. Warum benutzt du es so negativ?

A.: Ein guter Klang. Ich meine es nicht negativ, ich habe ja immer Programm gemacht. Programm-Machen heißt planen, was wird die nächste Sendung sein. Programm-Machen heißt, dann diesen Plan zu erfüllen. Vielleicht bringe ich hier zwei Begriffe durcheinander: Programm-Machen und Programmieren – daß die Mentalität programmiert wird, ist eine Sache. Die andere ist und war in meinem Fall die inhaltliche Gestaltung des Literaturprogramms. Ich brauche in einer Literaturvermittlung nicht die Rasanz einer Ratgebersendung zu verfolgen. Die Literatur, die Musik, die Malerei ist interessant genug, nichts davon benötigt Stimulanz. Wir müssen keine künstlichen Anreize schaffen.

B.: Ich müßte jetzt nach dem Verhältnis von Sender und Empfänger fragen, nach deinem Sendungsbewußtsein, nach Minderheiten und Mehrheiten. Das interessiert dich alles nicht?

A.: Doch. Es ist eine Minderheit.

B.: Würde es dich nicht glücklich machen, einen Menschen zusätzlich für Literatur zu begeistern?

A.: Du, ich habe manchmal Menschen begeistert. Mir hat das gereicht. Wir haben ja für alles Beispiele. Marcel Reich-Ranicki hat, wie er sagt, und dann wird es ja auch stimmen, sehr viele Leute für Literatur gewonnen. Nur, ich bezweifle das. Das Literarische Quartett war eine circensische Veranstaltung, angeblich mit dem Inhalt Literatur. Es muß einem doch aufgefallen sein, daß es dort verpönt war, Literatur zu zitieren. Niemals wurde eine Seite vorgelesen, und niemals trat ein Schriftsteller auf, von dem die Rede war. Das ist eigentlich das Gegenteil von dem, was ich wollte und will.

B.: Du hast mir mal vor einer Sendung auf meine Frage nach der Konzeption dieser Sendung geantwortet, dein Konzept sei, daß du kein Konzept hättest. Wie läßt sich das mit dem Begriff Programm-Machen vereinbaren?

A.: Das läßt sich vereinbaren. Natürlich hatte ich ein Konzept, ich habe es nur nicht jedem gesagt. Der Titel ist festgelegt, sechs Wochen vorher muß ich es ja abgeben, damit es gedruckt werden kann. Mein Konzept, meine Idee war stets, das Interessante vor das Bekannte zu stellen. Ich kann natürlich Grass, Böll, Lenz, Walser, Enzensberger senden und dann wieder von vorne anfangen. Das war nicht mein Konzept. Das für mich Interessante weiterzugeben, bedeutete doch auch eine Vermittlung an die Öffentlichkeit. Ich habe mich nicht auf das Urteil anderer Leute verlassen. Ich, der ich früher eine Literaturzeitung machte, entschied selbst, bei allen Möglichkeiten des Irrtums. Nur zu gucken, was steht auf der Bestenliste, die auch noch mitbestimmt wird von Leuten, die man weitgehend kennt wie die des Literarischen Quartetts, das ist uninteressant und ungerecht, weil es eine Monopolisierung bedeutet.

B.: Diese Konzeption ist nur ein Teil der Praxis. Wenn wir jetzt noch einmal über Ralph Schock sprechen, der als Literaturredakteur des Saarländischen Rundfunks angehalten ist, auch funkisch zu sein, immer im seriösen Sinn, muß er auch Literaten auf den Halberg holen, die Hunderte Menschen ziehen: eben Martin Walser oder Günter Grass. Sehe ich es falsch, daß da ein zunehmender Druck existiert?

A.: Dieser Druck nimmt zu. Ralph Schock hat allerdings einen Vorgesetzten, den Herrn Johannsen, der sehr milde ist und der das Urteilsvermögen Schocks ebenso zu schätzen weiß wie seinen Widerstand gegen das bloß Funkische. Ich glaube nicht, daß Schock funkischer ist als ich, er hat allerdings wohl organisatorisch mehr Interessen und ist dann doch ein besserer Vermittler, wie du es mir vorhin nahegelegt hast.

B.: Das wollte ich mit meiner Frage auch nicht unterstellten. Freilich sehe ich, wie die Weichen hin zum Funkischen gestellt sind durch Messungen und Einschaltquoten, durch die Verlegung von Programmplätzen, duch Fusionen oder nachteilige Kooperationen – das, was wir seit den 90er Jahren zu lesen und dann zu hören bekamen. Was vermutlich auch mit dem Erstarken und der vielfachen Gründung von Privatsendern zu tun hatte. Und das ist inzwischen überall zu hören und zu sehen: die Anpassung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten an Sendeformate der privaten. Nehmen wir als trauriges Aushängeschild ein Beispiel aus dem Fernsehen: Flacher als aspekte kann derzeit keine private Anstalt senden, also kommt Kultur allenfalls bei den vermischten Nachrichten oder als Sensatiönchen vor – oder es wird völlig ausgeblendet. Früher hieß das bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten ›Auftrag‹.

A.: Ja, da gibt es eine sehr schwierige Entwicklung. In meiner Anfangszeit gab es noch Großveranstaltungen, Lesungen an der Universität etwa von Peter Handke oder von Erich Fried mit vollen Hörsälen oder im Audimax. Heute kommen nicht einmal die Germanisten oder ihre Studenten. Neuerdings herrscht Druck über die Einschaltquote, wir hatten damals eine große Einschaltquote, ohne etwas dafür zu tun, außer mit einem Plakat.

B.: Was ist verantwortlich für die Erosion?

A.: Das geht auf eine generell feststellbare Verblödung zurück, die wohl auch zusammenhängt mit den Leuten, die wir gewählt haben und die völlig opportunistisch auf den Zuwachs des Bruttosozialprodukts achten. Sie benutzen Kultur als Feigenblatt oder Petersilie. Das ist eine galoppierende Verblödung: die Abschaffung des Unterrichts in alten Sprachen und des letzten Schuljahres in den Gymnasien, was heißt, die Verblödung kommt von oben.

B.: Wird auch von den Regierungen stärker in die ARD-Anstalten hineinregiert? Wie gefeit ist man dagegen? Wie hat sich das entwickelt?

A.: Relativ gelinde im kulturellen Bereich. Weder ich noch der Ralph Schock sind Mitglied einer Partei.

B.: Ist der Saarländische Rundfunk dabei, seinen kulturellen Ruf zu verspielen, wenn immer wieder Gerüchte auftauchen, er würde sein Orchester abschaffen wollen oder müssen?

A.: Ich sage manchmal sehr sarkastisch, unser Intendant ist ein Abwicklungsbeauftragter der Staatskanzlei. Er ist ein wiedergewählter SPD-Mann in einer CDU-Regierung. Unter welchen Umständen wählt eine CDU-Regierung einen SPD-Intendanten? Diese Antwort darauf kann man jedem Menschen, der bis drei zählen kann, überlassen. Er ist also ein Erfüllungsgehilfe. Das sind die sogenannten ›Sachzwänge‹.

B.: Aber hat das nicht auch zu tun mit dem finanziellen Ausgleich zwischen den Anstalten der ARD?

A.: Ja, wunderbar. Wir schmeißen die Maschinen weg und kaufen neue, die wir nicht brauchen. Wir werfen das Geld zum Fenster raus. Jetzt wird das Hörspielgebäude aufgestockt für 40 Millionen Mark. Der Rundfunk hat sich einreden lassen, und da steckt auch die Landesregierung dahinter, daß die technische Modernisierung nötig sei. Die Frage aber ist die, ob der Rundfunk geschlossen oder irgend etwas Regionales daraus wird. Es wäre sehr gut, wenn wir eine Mentalität hätten wie nach dem Krieg oder wie die Menschen in Afghanistan, nämlich, daß man überhaupt senden kann. Dann kommt es auf die Inhalte an.

B.: Bei aller kritischen Beobachtung scheint es seit einigen Jahren eine Renaissance des Kulturradios zu geben. Was ist die Ursache deiner Meinung nach?

A.: Das Windige der vielen konkurrierenden Fernsehprogramme hat wohl zu einem Überdruß geführt. In diesem Zusammenhang war es eine wichtige Entscheidung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, die Radioprogramme abzudrucken. Die Kulturprogramme behaupten sich auch darin. Sie sind jedoch von den Personalkürzungen betroffen. Es ist weder anständig noch zumutbar, daß einer das macht, was vorher zwei bearbeiteten, wie in der bereits erwähnten Literaturredaktion des Saarländischen Rundfunks.

B.: In diesem Zusammenhang steht wohl auch der Tod von tradierten Rundfunkorchestern.

A.: Radioprogramme sind eine billige Sache. Du hast mich vorhin nach meinem Konzept gefragt: Man kann ganz billige Sendungen machen, indem man eine Lesung in einer Buchhandlung oder der Volkshochschule mitschneidet und sendet. So läßt sich überdies Öffentlichkeit der manchmal zu schlecht besuchten öffentlichen Veranstaltungen herstellen.

B.: Anfangs sprachen wir über deine Vorstellungen des Radios. Würdest du jetzt am Ende unseres Gesprächs der Zusammenfassung zustimmen, Radio muß Produzent und Multiplikator von Kultur sein und bleiben? Überdies von unbequemer, nicht durchgesetzter Kultur?

A.: Sicher. Und es muß ein ganz normales Medium neben dem Buch und der Zeitung sein. Ein Aspekt, über den wir noch gar nicht sprachen, ist die Mündlichkeit. Meiner Ansicht nach gehen die Redakteure ziemlich am Charakter dieses Mediums vorbei, wenn sie ihre Moderationen ablesen. Das heißt: Das freie Sprechen und das Zeigen der Gedankenbildung während des Redens ist eine ganz große Chance des Radios, worin dann auch jede Pause und Verzögerung und jedes Versprechen seinen Sinn hat und die Aufmerksamkeit des Zuhörers erhöht. Deshalb meine sogenannte Konzeptlosigkeit. Mein Konzept war, auf den einzugehen, mit dem ich rede. Und nicht mein Curriculum: Frage eins, Frage zwei und drei, wo du schon auf die zweite Frage etwas völlig anderes antwortest, wo ich mit Frage drei nachhaken müßte. Das erleichtert doch die Arbeit, wenn man einigermaßen geistesgegenwärtig ist.

B.: Arnfrid, nie habe ich mich gelangweilt, wenn ich dir zuhörte.