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Titel Christoph Schmitz-Scholemann und Arnfrid Astel, bis morgen! Ostkontakte


Christoph Schmitz-Scholemann

bis morgen!

was mir an meinen gedichten gefällt:
daß ich sie gerne schreibe
es ist als ob man den tisch deckt
oder obst auf einem holzbrett ordnet
oder eine art gedankenfotografie
je weniger gedanken vorhanden sind
umso intimer das bild
tote natur stilleben
eine pflaume ein apfel ein buch
ein ausdrucksvolles gerippe
nur die anordnung ändert sich
und das licht
über nacht

was mir an meinen gedichten ferner gefällt
ist daß ich sie gerne lese und wiederlese
eine zeitlang
bis sie ihren duft verloren haben
abblühen
das leuchten erlischt
über nacht
dann sind sie nur noch etwas das herumliegt
zischlaute gerippe
altes obst altes papier
alter satz
schöner schatz
bis morgen!


Arnfrid Astel

Vom Duft der Erinnerungen

Was mir an seinen Gedichten gefällt: Man merkt ihnen an, dass er sie gern schreibt. Es genügt nicht, dass man sie gern schreibt, man muss es ihnen anmerken. Erst dann sind sie gelungen. Und was ist der Maß­stab? Das, was der Poesie vorausgeht, was vor ihr war.

Der Tisch, den man deckt, das Holzbrett, Pflaume, Apfel; die Dinge selbst und ihre Ordnung, die Gestalt. Das tägliche Glück des Ordnens kann sich in der Gestalt des Gedichts widerspiegeln, in seiner Struktur, die eine Frottage der Maserung des Holzes sein kann, das Geäder eines Blattes oder gar des eigenen Gerippes. Dieses Wort kommt zweimal vor, natürlich stilisiert im Stillleben, der »toten Natur«. Neben der Pflaume steht auch das Buch. Je weniger Gedanken, desto intimer das Bild. Der Gedanke ist eine Pflaume, kein Pflaumenmus. So etwas lese ich, liest er gern. Eine Zeit lang. Der Gedanke, die Gestalt ist eine vergängliche Ware. Wie wir selbst. Auch das Glück der Wahrnehmung dieser Gestalt, also auch des gelungenen Gedichts. Deshalb muss der glückliche Sisyphos diesen Stein immer wieder auf den Berg rollen, bis ein Buch daraus wird, und dann das nächste.

Schön ist es, wenn das Gelungene eine längere Zeit dasteht in einem Buch, etwa als »Zustand L.«, wenn der alte Satz über Nacht aufersteht als schöner Schatz, bis morgen, das heißt, solange der »Zustand L.« anhält, sei das nun die Liebe oder das Leben, des Dichters oder seiner Leser. Was ist der Duft eines Gedichts? Was ist der Duft? Das Wesen des Duftes ist, dass er seine Zeit hat, dass er verduftet. Das Verduften selbst ist der Duft. Das Gelingen verbraucht sich als Duft. Es gelingt als Duft.

Wenn ich die Gedichte von Christoph Schmitz-Scholemann lese, erinnere ich mich an die schönen Begegnungen mit ihm. Von dem Duft dieser Erinnerungen würde ich gern »eine Art Gedankenfotografie« herstellen, ein Gedicht. Das arbeitet noch in mir. Deshalb vorläufig und »bis morgen!« nur diese Betrachtung, Dir zum Geburtstag, lieber Christoph.


Arnfrid Astel

Ostkontakte

Als mein Freund kürzlich
wieder nach Weimar fuhr,
bat ich ihn,
mir den Baum zu fotografieren,
auf dem wir als Kinder Burgen gebaut hatten.
Er brachte mir
eine Fotografie mit,
darauf waren Kinder zu sehen,
die auf unserem Baum
eine Burg bauten.


Christoph Schmitz-Scholemann

Sehnsucht nach der Kindheit in Weimar

Ein zartes Staunen und auch etwas Traurigkeit wehen uns aus diesen knappen Zeilen an. Sie wecken in uns eine süße Sehnsucht nach dem Baum und den Burgen und der einfachen und klaren Sprache der Kind­heit. Und zugleich die Gewissheit, dass das alles nicht wiederkehrt, und wenn doch, nur als Bild.

Das Gedicht ist auch eine kleine deutsch-deutsche Erzählung. Es stammt aus den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts und ist ersichtlich aus westdeutscher Perspektive geschrieben. Deutschland war geteilt, die Grenzen verriegelt und verrammelt und bewaffnete Soldaten standen einander gegenüber – wie feindliche Burgen waren die beiden deutschen Staaten. Es war für den damals wie heute in Saarbrücken lebenden Dichter Arnfrid Astel unmöglich, selbst in die Stadt seiner Kindheit zu reisen. Arnfrid Astel hat eine deutsch-deutsche Biografie. Er wurde 1933 in München geboren, kurz darauf zog die Familie nach Weimar. Das kam so, weil der Vater, Karl Astel, 1934 zum Professor an der Medizinischen Fakultät in Jena befördert wurde, als »Rassetheoretiker«. Nach dem Tod des Vaters 1945 ging die Mutter mit den Kindern wieder nach Süddeutschland. Noch während seines Studiums in Heidelberg gründete Astel die »Lyrischen Hefte«, in denen er auch Gedichte der Thüringer Autoren Wulf Kirsten und Siegfried Schröpfer veröffentlichte.

Arnfrid Astel lebt für die Poesie. Einmal hätte sie ihn sogar beinahe die Existenz gekostet: 1970, Astel war inzwischen Leiter der Literatur-Redaktion beim Saarländischen Rundfunk, wollte der Sender ihn fristlos entlassen, unter anderem wegen scharf linker politischer Gedichte. Astel prozessierte und bekam Recht – 1972 vor dem Bundesarbeitsgericht, damals in Kassel, heute in Erfurt ansässig. Vor zwei Jahren kam bei der Renovierung des Elternhauses von Arnfrid Astel ein Fenster-Blech zum Vorschein, auf dem noch Kritzeleien aus seiner Kindheit zu erkennen waren. Wulf Kirsten, der das Fenster­blech entdeckte, hat es seinem Freund Arnfrid Astel geschenkt. Die Sehnsucht nach der Kindheit ist unstillbar.