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  Titel Hopkins


These things, these things were here and but the beholder
Wanting; which two when they once meet,
The heart rears wings bold and bolder
And hurls for him, 0 half hurls earth for him off under bis feet.


»Ich schreibe nicht für die Öffentlichkeit. Du bist mein Publikum, und ich hoffe, Dich noch zu bekehren. Du sagst, Du würdest nicht für Geld mein Gedicht (Der Schiffbruch der Deutschland) noch einmal lesen. Nichtsdestoweniger beschwöre ich Dich, es doch zu tun. Außer Geld, weißt Du, gibt es ja noch etwas anderes, nämlich Liebe.« Der Jesuit Gerard Manley Hopkins schreibt dies am 21. August 1877 seinem Jugendfreund, dem späteren Poeta laureatus Robert Bridges. Bridges hat das Gedicht erst nach langer Zeit wiedergelesen; Hopkins hat den Widerstrebenden schließlich doch »bekehrt«, der 1918 – dreißig Jahre nach dem Tod seines Freundes – die erste Ausgabe der Gedichte herausbrachte. Auch die angelsächsische Öffentlichkeit wurde als Publikum erreicht. Seit der zweiten Ausgabe der Gedichte von 1930 – 41 Jahre nach Hopkins' Tod – begann sein Ruhm sich auszubreiten. Er hat die moderne angelsächsische Dichtung stark beeinflußt; heute ist seine Wirkung immer noch im Wachsen begriffen.
Der Schiffbruch der Deutschland, das 35strophige Monumentalgedicht von 1875 – nach Bridges' Aussage steht es wie ein »großer Drache« vor dem Werk, der den Zugang zu versperren droht – entstand auf Anregung eines Oberen als erste Arbeit nach einer siebenjährigen Zeit asketischen Schweigens. Es ist die früheste Anwendung wesentlicher poetischer Wirkungsgesetze, deren Erkenntnis in die Zeit von 1868 bis 1875 fällt.

Ingestalt (inscape)
Hopkins eignete eine außergewöhnliche Erlebniskraft und Beobachtungsgabe, verbunden mit der Fähigkeit, das Erkannte zu bewerten. Seine Vorbilder waren die mannigfaltigen Gestaltungen in der Natur, deren Besonderheit festzuhalten er in seinen Tagebüchern nicht müde wird. Er war mit unbeschreiblich wachen Augen und Ohren begabt. »Was man scharf ansieht, scheint einen auch scharf anzusehen, daher die wahre und die falsche Inkraft (instress) der Natur. … Wenn man nicht von Zeit zu Zeit den Geist auffrischt, kann man sich nicht immer daran erinnern oder sich vorstellen, wie tief die Ingestalt (inscape) in den Dingen ist.« Die Begriffe »inscape« – Patenworte sind »landscape« und »seascape« – und »instress« sind Hopkins' eigene Neubildungen. Unter Ingestalt versteht er »die Ausprägung des inneren individuellen Wesenskerns eines Dings in seiner nach außen hin sichtbar werdenden, sinnlich erfaßbaren Gestalt, sie ist das Hervortreten der Individualität, des ›Selbst‹ eines Dinges«. (Wolfgang Clemen) Dagegen bezeichnet Inkraft einerseits die dieser Individualität innewohnende Tendenz, sich in einer äußerlich sichtbaren Gestalt mitzuteilen, andererseits aber auch die Wirkung, den »Eindruck« (Clemen) dieser Ausprägung auf den Betrachter. Durch die Inkraft wird die Ingestalt also erst zum Erlebnis, zu dieser uneindämmbaren Erregung, wie sie im letzten Terzett des Sonetts Hurrahing in Harvest festgehalten ist: »…which two when they once meet, / The heart rears wings bold and bolder / And hurls for him, 0 half hurls earth for him off under his feet.«
Hopkins beklagt die mangelnde Sehschärfe seiner Mitmenschen. »Da dachte ich, wie traurig doch die Ingestalt unerkannt und wegbegraben sei für die einfachen Leute und wie greifbar sie anderseits zur Hand wäre, wenn die Menschen Augen hätten, sie zu sehen, und wenn sie wieder überall verkündigt werden könnte.« An anderem Orte heißt es: »Doch sah ich die Ingestalt neu, als ob meine Augen immer noch wüchsen, obgleich Auge und Ohr meistens verschlossen sind, wenn ein Begleiter dabei ist und Inkraft nicht wirken kann«.

Scotismus
Die Wendungen »Augen haben zu sehen« und »überall verkündigen« entstammen dem Neuen Testament. Sie deuten an, was das folgende Zitat deutlicher ausspricht: »Ich glaube nicht, daß ich jemals etwas Schöneres sah als die Glockenhyazinthe, die ich eben angeschaut habe. Ich weiß durch sie von der Schönheit unseres Herrn. Ihre Ingestalt ist aus Kraft und Anmut gemischt wie eine Esche«. Hopkins hatte 1872 die Bestätigung seiner inscape-instress-Theorie in dem haecceitas-Begriff des englischen Scholastikers Duns Scotus (gestorben 1308) gefunden, der »im Gegensatz zur thomistischen Auslegung, nach der das Individuum von der Materie her quantitativ bestimmt wird, in den geschaffenen Wesen ein dynamisches Element sieht, den Willen, der in seinem ja zu Gott sich selbst verwirklicht und sich so der Schöpfung einverleibt« (Hansen-Löve). Der schottische Franziskaner Duns erblickt »im Individuellen und Einzelnen die höhere Form des Daseins gegenüber dem Allgemeinen« (G. Karp): »In entibus autem principalibus est a deo intentum individuum principaliter.« Hopkins notiert dazu: »Ich hatte damals zum erstenmal einen Band Scotus aus der Baddely-Bibliothek in die Hand bekommen und strömte über von einer neuen Welle der Begeisterung. Es mag nichts weiter dabei herauskommen, oder es mag eine Gnade Gottes sein – aber gerade dann, wenn ich irgendeine Ingestalt des Himmels oder des Meeres in mich aufnahm, dachte ich an Scotus.«
Diesen scotistischen, christlich-pantheistischen Hintergrund muß man im Auge behalten, will man Hopkins' Natursicht verstehen, wie sie etwa in den folgenden Äußerungen niedergelegt ist: »Geladen ist die Welt mit Gottes Erhabenheit. / Ausflammen will sie wie Glast von gerütteltem Flitter« (God's Grandeur). Oder, gesteigert, in den Bemerkungen zu den geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola: »Alle Dinge sind daher geladen mit Liebe, sind geladen mit Gott, und wenn wir es nur verstehen, sie richtig anzurühren, sprühen sie Funken und fangen Feuer, geben Tropfen ab und fließen über, tönen und erzählen von ihm.« In dem Sonett Hurrahing in Harvest, das nach Hopkins' Auskunft »der Ertrag einer halben Stunde höchster Entzückung« war, als er »eines Tages vom Fischen im Elwy allein heimkehrte«, stehen die berühmten Verse: »Ich geh, ich heb auf, ich heb auf Herz, Aug / Aus all der Glorie in den Himmeln aufzulesen unsern Erlöser.« »Aufzulesen«, »to glean«, entstammt der Sprache der Bauern. Es bezeichnet den handgreiflich sinnlichen Vorgang des Ährenauflesens. Jede Ähre aber, jede übersehbare, aber erblickbare Ingestalt enthält Christus, der in ihr erkannt und aufgelesen sein will. Indem die Dinge sich selbst mitteilen, teilen sie Christus mit. In aller Deutlichkeit wird dieser Gedanke ausgesprochen in dem Sonett As Kingfishers… : »Jed sterblich Ding tut ein Ding und nur dies: / Teilt aus das Wesen, das in jedem wohnt; / Selbstet – wird es selbst; ›ich selbst‹ es sagt und stabt; / Rufend ›Was ich tu bin ich: dafür kam ich‹. // … / … denn Christ(us) spielt an zehntausend Orten / Hin zum Vater durch die Züge der Gesichter.«

The Beholder (Der Betrachter)
Das atemberaubende Erlebnis sinnlichen Erkennens, aus dem sich Hopkins' Dichtung erhebt, ereignet sich durch das Zusammentreffen von inscape und beholder. Hat man sich den Begriff der Ingestalt angeeignet, muß man nach dem Betrachter fragen. Wessen Augen betrachten da, wie sieht dieser Betrachter sich selbst? Wichtige Aussagen seines Selbst-Verständnisses, seines Selbst-Bewußteins finden wir in den Meditationen über den Satz »Homo creatus est« der »Geistlichen Übungen«. »Wenn ich mein Selbstsein bedenke, mein Bewußtsein, meine Empfindung von mir selbst, jenen Geschmack meiner selbst, meines Ichs über und in allen Dingen, der bestimmter ist als der Geschmack von Bier oder Alaun, bestimmter als der Geruch von Walnußblättern oder Kampfer und durch kein Mittel irgendeinem anderen Menschen mitzuteilen ist… [wenig später wird der Gedanke noch einmal aufgenommen: »…eigentümlicher als der Geschmack von Gewürznelken oder Alaun, als der Geruch von Walnußblättern oder Hirschhorn, eigentümlicher, stärker geselbstet als alle übrigen Dinge, so daß es in eben dem Maße eine erlesenere Kraft des Bestimmens, des Zum-Selbst-Machen voraussetzt.«] Nichts sonst in der ganzen Natur kommt dieser unaussprechlichen Kraft der Einstimmung, Unterschiedenheit und Selbstung, diesem meinem eigenen Selbstsein, nahe. … Indem ich die ganze Natur durchforsche, schmecke ich ›Selbst‹ nirgends als nur aus einem einzigen Krug, dem meines eigenen Wesens.« Wir erinnern uns, daß »selbsten«, »ich selbst - sagen« die Ingestalt ausprägt. Hopkins' Selbstgeschmack ist also die Wahrnehmung und das Bewußtsein der eigenen Inkraft. Es besteht eine wesentliche Verwandtschaft zwischen den Ingestalten der Natur und der ihres Betrachters. Beide sind – scotistisch gedacht – Individuationen Christi, der »erleseneren Kraft des Bestimmens«. Wie in den Dingen der Natur ruht Gott im Menschen als »in einem Ort, einem locus, einem Bett, Gefäß, das ausdrücklich gemacht ist, ihn aufzunehmen, wie das Juwel in dem dafür ausgehöhlten Behältnis, wie die Hand im Handschuh oder die Milch in der Brust. … Auch kommt hierdurch zugleich am besten das Wesen des Menschen selbst heraus, wie die Schrift auf einem Segel oder das Wappenbild auf einer Fahne am besten zu sehen ist, wenn sie vom Wind gebläht sind.«

Which two when they once meet…
So ist die Begegnung des ingestalteten Betrachters mit den Ingestalten eigentlich eine Selbstbegegnung, das Erkennen Selbsterkenntnis. Die Vereinigung geschieht unter orgastischem Wirbel – »kühn und kühner regt Schwingen das Herz / Und wirbelt ihm, o halb wirbelt die Erde ihm fort unter seinen Füßen« – denn was hier stattfindet, ist nicht die sterile Vereinigung von Gleichem, sondern die Befruchtung zwischen in gleicher Weise Anderem, verschiedenen Individuationen also des Gleichen. Jenseits aller Begrifflichkeit dieses Satzes: Es begegnen sich zwei verschiedene Segel, zwei Selbste, die vom gleichen Wind geschwellt sind. So betrachtet ist die geschaffene Welt der Schauplatz, der die Selbstbegegnung des einzigen Gottes ermöglicht. Wo immer geliebt wird, ereignet sich diese Selbstbegegnung.

Eros
Man spricht nicht von dem Jesuiten Gerard Manley Hopkins, wenn man nicht von seinem Eros spricht. An den etwas unglücklich umworbenen Freund Robert Bridges, der nie so recht wußte, wie ihm eigentlich geschah, der noch dreißig Jahre nach dem Tod des Größeren voller Vorurteile gegen ihn steckte, schrieb Hopkins am 22. Oktober 1879: »Ich glaube nicht, daß irgend jemand Schönheit des Leibes mehr bewundern kann als ich, und es ist natürlich ein Trost, Schönheit in einem Freund sehen zu dürfen oder einen Freund in Schönheit. Doch ist diese Art der Schönheit gefährlich.« Im Goldenen Echo bezeichnet Hopkins leibliche Schönheit als »gefährlich süß«. – »Wozu dient sterbliche Schönheit – gefährlich; bringt zum Tanzen das Blut…?«, fragt er in einem mit diesen Worten beginnenden Sonett, worin auch die Ursache für den von ihm besonders zu fürchtenden »Totentanz im Blut« ausgesprochen wird: »Unser Gesetz sagt: liebe, was das Liebens-Würdigste ist… / Der Welt Lieblichstes – Menschen-Selbste. Selbst flammt aus Gestalt und Gesicht.« Bei dem Vergleich der Natur mit einem »Heraklitischen Feuer« nennt er den Menschen »ihren hellstgeselbsteten Funken«. Hopkins' Eros beruht auf dem Erkennen der leibhaftigen Ingestalt des Menschen, das deshalb eine besondere Gefährdung für ihn bedeutet, weil hier ja – im Gegensatz zur Begegnung mit den Ingestalten der Natur – eine reale Vereinigung möglich ist, da nicht nur der Betrachter, sondern auch das Betrachtete menschliche – »hellstgeselbstete« – Gestalt trägt. Der Jesuit hat diese Gefahr durch schmerzvolle Entsagung gebannt: Er hat die Liebe in die erkennenden Augen verdrängt. Sehen – das scheint mir ein Schlüssel zum Verständnis seines Selbstes zu sein – ist für ihn ein vollkommen erotischer Vorgang. Er hielt sich in jener Sphäre auf, »wo ein flüchtiger Blick mehr bemeistern mag als Anstarren, Anstarren ohne Fassung«. Dabei wurden seinen Augen Antworten zuteil, wie sie nicht leicht jemand erlebt. Die scotistisch beseelte Erotik dieses Vorganges ist offen ausgesprochen in dem schon mehrfach herangezogenen Sonett Hurrahing in Harvest: »Und, Augen, Herz, welche Blicke, welche Lippen gaben euch je einen / Gruß hinreißender Liebe, der wirklicher, bündiger euch Erwiderung tat?«
Noch 1888, ein Jahr vor seinem Tode, entwirft Hopkins ein Epithalamion zur Hochzeit seines Bruders: Ein Wanderer sieht – selbst ungesehen – eine ausgelassene Schar Knaben in einem laubüberhangenen Fluß baden. Ihre »glockenhellen Leiber«, »dieses Gewinde ihrer Sprünge flammt in seiner Brust / Auf solch jähem Verlangen / Nach Sommerzeitfreuden, / Daß er hin zu einem nahe gelegenen Tümpel eilt«, wo er sich hastig entkleidet, um »das flinke / Graublanke wohlig-kühle Element sich brechen (zu) lassen über seine Glieder / Lange. Wo wir ihn verlassen, in entbundener Lust, wie er rings um sich schaut, lacht, schwimmt. // Genug jetzt; denn es hieße dem heiligen Gegenstand, den ich meine, / Unrecht tun, ließe ich länger ihn treiben / Nach dieser nur tanzend und springenden, Erde nachhallenden Weise – / Was ist … das liebliche Tal? / Ehestand. Was ist Wasser? Bräutliche Liebe.«

Melancholie
Solche seltenen Aufschwünge – nach Hopkins besteht die Größe des Genies darin, »daß es so groß sein kann«; »wenn es sich in Ruhe befindet, (steht es) gar nicht so sehr weit über dem Mittelmaß« – täuschen über seinen wirklichen Zustand. Das Sehen, ohne selbst gesehen zu werden, versetzte ihn auf die Dauer in lähmende und beherrschende Melancholie. Schon früh beklagt er eigene Unfruchtbarkeit, weil er nicht liebe. (Trees by their yield…) Dem Jesuiten, der »nicht mit gutem Gewissen Zeit auf Gedichte verwenden« konnte, fehlten »die Impulse und Inspirationen, aus denen heraus andere schreiben. Gefühle, im besonderen die Liebe, sind die großen bewegenden Kräfte und Antriebe der Dichtung, und die einzige Person, die ich liebe, rührt mein Herz nur selten, in letzter Zeit (1879) besonders selten, fühlbar an, und wenn es geschieht, kann ich nicht immer ›Kapital daraus schlagen‹, denn das wäre ein Sakrileg.« Er bricht in die alte Klage der Gerechten aus: »Warum gedeihen die Wege der Sünder? … // … 0 die Narren und Sklaven der Lust / Wachsen in kargen Stunden mehr als ich, der doch sein Leben, / Herr, an deine Sache wendet … // … die Vögel bauen – doch nicht ich baue; nein, sondern mühe mich, / Der Zeit Eunuch, und zeuge kein lebendig Werk. / Meinen, o du Herr des Lebens, sende meinen Wurzeln Regen.« (Justus quidem…) Es »tötet« ihn, »der Verschnittene der Zeit zu sein und niemals zu zeugen«. Immer wieder taucht dieses Bild auf: »Seit Jahren habe ich keine Inspiration mehr gehabt, wenigstens keine, die länger anhielt als gerade für ein Sonett, außer jenen zwei Wochen in Wales; und das ist es, was ich bei dem Leben, wie ich es führe, als das größte Hindernis für die Entstehung von Gedichten und für jede schöpferische Tätigkeit empfinde, und was viel schwerer wiegt als der Mangel an Zeit. … Mir fehlt jeder Antrieb: ich kann mir selbst keinen genügenden Grund angeben, warum ich weiter arbeiten soll. Nichts entsteht: ich bin ein Verschnittener – aber ich bin es um des Himmelreiches willen.«
Hopkins' letztes Sonett ist an Robert Bridges gerichtet. Die durchgehend erotische Metaphorik legt die Vermutung nahe, daß die einstige jugendliche Nähe dieser beiden Männer eine wichtige Quelle seiner Begeisterung war, daß er von dieser Befruchtung lange Zeit gezehrt hat, bis schließlich die geistige Entfremdung den Einbruch lähmender Melancholie mit sich brachte: Obwohl »das hohe Entzücken, das den Gedanken zeugt (fathers thought); der starke / Drang, lebhaft und stechend gleich der Lötrohr-Flamme«, nur einmal weht und schneller erlischt, als er kommt, hinterläßt er doch den Geist als »Mutter unsterblichen Liedes«. – »Neun Monde dann, nein Jahre, neun Jahre lang / Mittin ihr trägt sie, nährt sie, hegt und pflegt das gleiche: / Als Witwe eines verlorenen Einblicks lebt sie; kund ist ihr / Das Ziel nun und die Hand am Werk greift nie mehr fehl.«
Man darf Bridges nicht zu viel Ehre antun. Die Beziehung zu ihm war gleichsam nur der Modellfall von Hopkins' später selbständiger scotistisch-erotischer Weltsicht; wie auch die Enttäuschung und die Einseitigkeit dieser Freunschaft Modellfall waren für die geistliche Verlassenheit (deren Dokument die Terrible Sonnets sind) und die sinnliche Einsamkeit dieses einzigartigen Betrachters. Seine »Winter-Welt« – »mit manchem Seufzer« gesteht er es in diesem letzten Gedicht – kennt nicht mehr das »süße Feuer«, den »einen hinreißenden Hauch einer Begeisterung«.
Die Zeugnisse seiner Melancholie sind erschütternd: »In dem Sarg von Schwäche und Schwermut, in dem ich lebe, ohne auch nur die leiseste Hoffnung auf Änderung, habe ich nicht das Gefühl, etwas schaffen zu können.« – »Ich glaube, daß meine Anfälle von Schwermut, obgleich sie meine Urteilskraft nicht beeinträchtigen, an Wahnsinn grenzen.« – »Die Melancholie, die mich zeit meines Lebens heimgesucht hat, ist in den letzten Jahren (alle Zeugnisse von 1855) nicht intensiver geworden, was die einzelnen Anfälle betrifft, hat sich aber dafür zu einem umfassenderen und lähmenden Zustand entwickelt. … Wenn es mir ganz schlecht geht, ist mein Zustand tatsächlich nicht weit vom Wahnsinn entfernt, obgleich meine Urteilskraft niemals getrübt ist.«

Sprungrhythmus
Mallarmé hat einmal gesagt, Literatur bestehe darin, »den Herrn Soundso zu beseitigen, der sie schreibt«. Träfe dieser Satz auf Hopkins' Dichtung zu, hätten wir nicht so lange bei seiner Person und dem scotistischen Eros ihres Erkennens verweilen dürfen. Wenn wir erst jetzt auf seine »Poetik« zu sprechen kommen, so geschieht dies in der Überzeugung, daß deren Gesetz dem Gesetz der Ingestalten entspricht, der Ingestalt des persönlichen Betrachters – von dessen Selbstgeschmack wir gehört haben – nicht weniger als der des Betrachteten. (Woraus sich übrigens eine scotistische Konsequenz ergibt, die hier nur angedeutet sein soll.)
1886 urteilt Hopkins über den damals 21jährigen William Butler Yeats: »Er war ein Dichter, wie eben Iren es sind … voll von Gefühlen und hohen Gedanken, er besaß eine gewisse Flüssigkeit der dichterischen Sprache, oft sehr schöne Bilder und andere Vorzüge, wobei der wesentlichste und einzig dauernde noch fehlt – nämlich das, was ich inscape nenne, eine spezifische Prägung oder individuell unverwechselbare Schönheit des Stils.« Spezifische Prägung und individuelle Unverwechselbarkeit meint Hopkins also, wenn er an anderer Stelle Ingestalt »die eigentliche Seele der Kunst« nennt. (Für einen »Herrn Soundso« wäre diese Poetik verhängnisvoll, denn er würde sich ein peinliches Denkmal setzen.) Was Hopkins an den Gedichten des jungen Yeats vermißt, ließen auch seine eigenen Jugendgedichte vermissen, die er 1868, bei seinem Eintritt in den Jesuitenorden, sämtlich verbrannte. Die »gewisse Flüssigkeit der dichterischen Sprache«, die »Gefühle«, »hohen Gedanken«, die »oft sehr schönen Bilder und andere Vorzüge« sind Eigenschaften sowohl der viktorianischen Dichtung als auch der ihrer Gegenspieler, der Präraffaeliten. Vor diesem kontrastierenden Hintergrund von seltsam anämischem, müdem Reiz erhob sich Hopkins' kraftvolle reife Dichtung, die nach siebenjährigem Schweigen mit dem Schiffbruch der Deutschland einsetzte. Diese Dichtung ist ein wilder Ausbruch aus der »lahmen und zahmen« Welt der Gleichförmigkeit regelmäßiger Versmaße, insbesondere der fünffüßigen Jamben. Geschult durch die griechische (Pindar) und lateinische Lyrik, stellte Hopkins den sogenannten »logaoedischen«, den gemischten Rhythmus – Klopstock und Hölderlin sind bei uns ähnliche Wege gegangen – an Stelle des fortlaufenden, das heißt, er ersetzt den gleichbleibenden Wechsel von Hebung und Senkung der silbenzählenden romanischen Zeile durch die Senkungsfreiheit des alten germanischen Verses – wie wir ihn etwa noch im Knittelvers kennen – wo lediglich die betonten Silben zählen. Er nennt dieses neugefundene Maß »Sprungrhythmus«: »Kurz gesagt, besteht dieser Rhythmus darin, daß man allein nach Akzenten oder Betonungen skandiert, ohne Rücksicht zu nehmen auf die Zahl der Silben, so daß ein Versfuß aus einer einzigen betonten Silbe bestehen kann, aber auch aus vielen unbetonten und einer betonten.« (Beispiel: »0 his / nímble / fínger, his / gnárled / gríp«) Dabei »gelten die einzelnen Füße als gleich lang oder gleich stark, und ihre scheinbare Ungleichheit wird ausgeglichen durch eine Pause oder durch stärkere Betonung«. Gelegentlich kann auch – wie in der Musik – eine Pause an Stelle eines Fußes stehen, wovon freilich nur selten Gebrauch gemacht wird. Eine weitere Möglichkeit sind »abschweifende Versfüße«, die nicht mitgezählt werden.
Hopkins nennt den Sprungrhythmus »das natürlichste von der Welt. Denn 1. ist er der Rhythmus der gewöhnlichen Sprache und der geschriebenen Prosa, wenn in diesen ein Rhythmus wahrgenommen wird. 2. Er ist der Rhythmus aller Musik (außer der ganz monoton regelmäßigen), so daß er in den Worten der Chöre und Refrains und in Liedern, die in enger Beziehung zur Musik geschrieben wurden, von selber entsteht. 3. Er findet sich in Kinderliedem, Wetterregeln usw.; denn, selbst wenn diese auch ursprünglich in fortlaufendem Metrum gesetzt waren, so sind die Endungen doch oft durch die Veränderungen der Sprache weggefallen, die Betonungen rücken zusammen und der Sprungrhythmus ist da. (Hier sei an Herders und Bürgers Aufnahme der »Reliques of Ancient Poetry« des englischen Bischofs Thomas Percy erinnert sowie an Brentanos Interesse am Volkslied.) 4. Er entsteht in gewöhnlichen Versen, sobald sie umgekehrt oder kontrapunktisch sind (gegen das Metrum betonend) aus ebendemselben Grund. Trotz alledem und obgleich die griechische und lateinische Lyrik, deren Kenntnis doch weit verbreitet ist, und die altenglische Dichtung … im Sprungrhythmus geschrieben sind, ist er tatsächlich seit dem Elisabethanischen Zeitalter nicht mehr benutzt worden.«
Georg Karp, der eine Dissertation über das Germanische Formgefühl bei Gerard Manley Hopkins geschrieben hat (Marburg 1939), fordert, »den Sprungrhythmus als ein echtes Grunderlebnis von jeder Form von Erfindung oder Entdeckung abzugrenzen«. Sein theoretisches »System« sei erst nachträglich als eine Art von Prävention gegen den Vorwurf zu großer Freizügigkeit oder gar Willkür niedergelegt worden. Hopkins: »Tatsächlich macht mir alle englische Dichtung – mit Ausnahme der Miltonschen – den beleidigenden Vorwurf der ›Zügellosigkeit‹.« Deshalb fehlt es nicht an Rechtfertigungen: »Warum ich nun überhaupt den Sprungrhythmus verwende? Weil er dem Rhythmus der Prosa am nächsten ist, das heißt dem ursprünglichen und natürlichen Rhythmus der Sprache, und weil er von allen möglichen Versmaßen das ungezwungenste, das ausdrucksvollste und am meisten emphatische ist; er vereinigt meines Erachtens gegensätzliche und sonst für unvereinbar gehaltene Vorzüge, nämlich Bestimmtheit des Rhythmus – also das Wesen des Rhythmus überhaupt – und Natürlichkeit des Ausdrucks – denn warum sollte ich, wenn es höchst wirkungsvoll ist, in Prosa zu sagen ›lashed … rod‹, gezwungen sein, dies in der Verssprache, die doch gerade kraftvoller, nicht schlaffer sein sollte, abzuschwächen zu ›láshed birch-ród‹ oder dergleichen?«
Bei aller Nähe zum Freien Rhythmus grenzt er sich jedoch entschieden gegen das ab, was er »rhythmische Prosa« nennt »und nichts anderes«. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang sein Verhältnis zu Walt Whitman. »Ich habe in meinem tiefsten Herzen immer gewußt, daß Walt Whitmans Geistesart der meinigen ähnlicher ist als die irgendeines anderen lebenden Menschen. Da er ein großer Halunke ist, fällt mir dieses Bekenntnis nicht gerade leicht.« – »Die Extreme berühren sich, und (ich muß um der Wahrheit willen sagen, was vielleicht überheblich klingt) das ›Wilde‹ seiner Kunst, dieser Rhythmus in seiner äußersten Holprigkeit und Auflösung in gewöhnliche Prosa kommt der äußersten Verfeinerung des meinigen sehr nahe.« Hopkins stellt Whitman – wie auch Milton und Greene – in die Reihe der Dichter, von denen er sagt, »wenn sie gekonnt hätten, hätten sie den Sprungrhythmus gebraucht; er ist, wenn man ihn nur einmal gehört hat, eine so durch und durch natürliche und wirkungsvolle Form, daß sie ihn, wäre er ihnen nur bekannt gewesen, sicher verwendet hätten. Viele sind schon so nahe daran gewesen, daß man ihnen wie beim Suchspiel hätte ›heiß‹ zurufen mögen, aber keiner hat ihn wirklich entdeckt; sie griffen ihn auf und ließen ihn wieder fallen.« Hopkins hätte diese Bekenntnisse nicht von sich aus abgelegt, nicht ohne Bridges' Vorwurf, er habe in seinem Gedicht The Leaden Echo and the Golden Echo Whitman nachgeahmt. Dagegen verwahrt er sich mit Nachdruck. Diese Verse sollten »wie die Gedanken eines guten, aber lebhaften Mädchens wirken, keineswegs aber – nein, keineswegs wie Walt Whitman«.
Für Hopkins war poetische Sprache zwar »gesteigerte Umgangssprache«, aber »bis zu jeder Höhe gesteigert und sich selbst kaum noch ähnlich«. Was er in seinem Sprungrhythmus wiederentdeckt hat, ist ein geeignetes Instrument, die verschiedenartigen möglichen Affekte wiederzugeben, die lebendige Bewegungslinie gesprochener Worte nachzuzeichnen und zu steigern. Alle seine poetischen Mittel – sei es nun Alliteration, Binnenreim oder Reim; Bevorzugung angelsächsischer Worte und solcher der Umgangssprache; syntaktische Verkürzung, Inversion oder Sprungrhythmus – sie werden niemals zum Selbstzweck, dienen vielmehr immer nur dem einen und einzigen Ziel, die Wirklichkeit seines Erlebens angemessen darzustellen. Hopkins' Dichtung ist insofern geeignet, einen neuen Maßstab für Erlebnisdichtung zu setzen; ich wüßte vor und nach ihm keinen Dichter, der wie er »erlebt« hätte. Was bei ihm auf den ersten Blick manieristisch wirkt, entspringt paradoxerweise gerade seinem unstillbaren Verlangen, Natürlichkeit wiederzugeben, wie er sie in der Besonderheit seiner eigenen und der Ingestalt der Natur vorfand.

»Manierismus«
Bridges hat Hopkins »Manierismus« vorgeworfen. Von Hocke wurde dieser Vorwurf in seinem Buch Manierismus in der Literatur aufgegriffen und im Interesse seiner eigenen These zu Hopkins' Lob befestigt. Diese Interpretation steht in eindeutigem Gegensatz zu Hopkins' Selbstverständnis. Wenn man schon die Aussagen von 1864 auf die erst mit dem Jahre 1875 neu einsetzende Dichtung anwenden will, muß man die seinerzeit aufgestellte Hierarchie der Versdichtung vollständig zitieren. Auf der untersten Stufe steht die »poetische« Sprache im weitesten Sinne, »einfach die Verssprache als solche, insofern sie sich von der Prosasprache unterscheidet«. Hopkins nennt sie »delphisch, die Sprache des heiligen Bezirks … wie sie gleicherweise vom Dichter wie vom Dichterling gebraucht wird«. (Es entspricht einer extremen Mißdeutung, wenn Hocke diese delphische Sprache als den »höchsten Rang« zitiert, als die »höchste Integration« des »parnassischen« und »kastalischen« Stils. S. 33 u. 266) Die zweite Stufe bildet die »parnassische Sprache«, die zwar nur von »wirklichen Dichtern«, aber »ohne Inspiration« geschrieben wird und daher »nicht im höchsten Sinne Dichtung« ist. Sie wird »auf und von der geistigen Ebene eines Dichters« gesprochen. »Pope und alle manieristischen Schulen sind groß im Hervorbringen von Parnassischem.« – »Es ist das Merkmal großer Zeitalter, daß sie auch gewöhnliche Menschen befähigen, etwas zu schreiben, was dieser Sprache sehr nahe kommt.« (Gegen Hockes Auffassung muß erinnert werden, daß Hopkins natürlich nicht seine eigene Dichtung als »parnassisch« resp. »manieristisch« bezeichnet, daß er sich vielmehr deutlich von dieser Stufe distanziert: »Wenn ein Dichter anfängt, uns zu langweilen, so liegt das meines Erachtens eben an seinem Parnassisch.«) Eine »höhere Art des Parnassischen« nennt Hopkins das »Kastalische«, das man auch für »die niedrigste Stufe der Inspiration« halten könnte. Die dritte und höchste Stufe schließlich, »die eigentlich dichterische«, ist »die Sprache der Inspiration«. »Ich meine damit einen Zustand großer, ja ungewöhnlich großer, geistiger Wachheit…« (»Jeder Mensch hat natürlich solche Stimmungen, da aber die meisten keine Dichter sind, ist auch das, was sie dann hervorbringen, keine Dichtung.«) »In einer wirklichen Inspirationsdichtung trifft dich jede Schönheit als etwas ganz und gar überraschendes … jede neue Schönheit könnte in einer solchen Dichtung auf keine Weise vorausgesagt oder abgeleitet werden aus dem, was man schon gelesen hat.« (Leider erwähnt Hocke diese höchste Stufe, die »Sprache der Inspiration«, überhaupt nicht, obwohl sie doch ohne Zweifel die Stufe von Hopkins' eigener Dichtung ist.) Insoweit Hopkins sich im Gegensatz zu klassizistischem Kunstverständnis befindet, fällt sein Werk allerdings unter Curtius' Definition des Manierismus. Man muß sich bei dieser Einordnung jedoch darüber im klaren bleiben, daß man sie entgegen seinem ausdrücklichen Selbstverständnis vornimmt. Seine »Absonderlichkeit«, die ihm oft als Manierismus ausgelegt wurde, ist nichts anderes als die Absonderlichkeit oder besser Besonderheit der Ingestalt selbst. Wenn uns diese Art der Natürlichkeit erschreckt, so bedeutet das lediglich, daß wir bisher Natürlichkeit mit Harmlosigkeit und Glätte verwechselt haben. Hopkins weiß selbst, daß seine Gedichte »durch ihre Absonderlichkeit zunächst erschreckend wirken« können, »durch eine Art roher Nacktheit und ungemilderter Heftigkeit«, wenn man sie etwa »nur mit den Augen« liest. »Holt man aber Atem und liest mit den Ohren, wie ich mir immer wünsche gelesen zu werden, so sind meine Verse durchaus in Ordnung.« Auch hier wieder fordert ihn Bridges' Unverständnis zu grundsätzlichen Erörterungen heraus: »Zweifellos ist die schwache Seite meiner Gedichte ihre Absonderlichkeit. Doch hoffe ich, mit der Zeit zu einem ausgeglicheneren und mehr Miltonischen Stil zu gelangen. Aber da in der Musik die Weise, die Melodie das ist, was mich am stärksten anrührt, und in der Malerei die Komposition, so strebe ich auch in der Dichtung vor allem nach der Komposition, dem Muster oder der Ingestalt, wie ich es zu nennen pflege. Nun ist es die vorzüglichste Eigenschaft der Komposition, des Musters oder der Ingestalt, bestimmt (distinctive) zu sein, der Fehler der unverwechselbaren Bestimmtheit (distinctiveness) aber, daß sie absonderlich wird. Diesen Fehler konnte ich nicht vermeiden.« Der Vorwurf, seine Absonderlichkeit sei Manier, mußte Hopkins ins Mark treffen, griff er doch seine wichtigste Idee, sein Wesen, das Selbst, seine Ingestalt an. Diese Verkennung ist eine der Quellen, aus der sich die Melancholie speiste: »Du hältst mir eine lange Strafpredigt wegen meiner Absonderlichkeiten. Ach, ich habe so viel darüber hören müssen, so sehr deswegen gelitten, bin tatsächlich so völlig fürs Leben ruiniert durch meine angeblichen Seltsamkeiten, daß dies ein schmerzliches Thema ist.«

Ruhm
Es scheint ein Gesetz zu geben, wonach zwar der erfüllten Liebe Todessehnsucht zugehört, der unerfüllten aber Todesfurcht: Grauen vor der Vergänglichkeit des werbenden und des umworbenen Selbst. Hopkins berichtet in seinem Tagebuch von dem »jähen Schmerz«, den er fühlte, als in seinem Garten eine Esche gefällt wurde. »Ich wäre am liebsten gestorben, um die Ingestalten der Welt nicht weiter zerstört zu sehen.« Auch das Gedicht Binsey Poplars ist einem solchen Vorgang gewidmet. Über dem Netz des christlichen Auferstehungsglaubens stürzt sich Hopkins später mehrfach und vorsätzlich in den Salto mortale der Vergänglichkeit – besonders in den Gedichten The Leaden Echo and the Golden Echo und That Nature is a Heraclitean Fire and of the Comfort of the Resurrection. Auch die Verborgenheit, das Unerkanntsein, die Vergeblichkeit sind Formen der Vergänglichkeit, die Hopkins nur durch dieses »Christus behält im Sinn« ertragbar werden, wie es in The Lantern out of Doors heißt.
Gerard Manley Hopkins nun, dessen Los es war, ein »Fremdling zu scheinen«, der von den Eltern und Geschwistern durch verschiedenen Glauben getrennt war und dem Christus, sein Frieden, zu seinem »Scheiden, Schwert und Streit« wurde, Hopkins, dessen Herz und schaffender Geist England wie ein »Weib« vergeblich umwarb, der sich als »ein einsam Begann« fühlte, weil er »jenes weiseste Wort«, das sein Herz hegte, »ungehört horten« mußte oder »gehört unbeachtet« sah (To seem the Stranger…), dieser Gerard Manley Hopkins schrieb 1878 an den von ihm verehrten, aber wenig bekannten Dichter R. R. W. Dixon, um »eine Art Pflicht der Nächstenliebe zu erfüllen«: »(Es) war mir deutlich bewußt, was ich selbst in Ihrer Lage fühlen würde – wenn ich solche Werke verfaßt und veröffentlicht hätte, deren hohe Schönheit der Autor selbst am intensivsten empfindet, und diese sogleich der Vergessenheit anheimgefallen und fast völlig unbekannt geblieben wären … Ich könnte mir vorstellen, daß es mir dann ein gewisser Trost wäre, wenn ich erführe, daß sie wenigstens von einem einzigen Menschen, und sei es auch von einem Fremden, sehr hoch geschätzt würden und auf alle Fälle nicht ganz vergebens veröffentlicht worden wären.« Hopkins nennt den Ruhm einen »Ansporn, für den man schwerlich Ersatz finden und ohne den man kaum auskommen wird«. – »Wenn wir den Mangel an Beachtung schon in der fühllosen Natur beklagen, wieviel mehr bei Dingen, die vom Menschen geschaffen sind mit vergeblichen Leiden und enttäuschten Hoffnungen.« Wie im Zusammenhang der Vergänglichkeit verweist Hopkins auch bei der Vergeblichkeit auf Christus: »Der einzige gerechte literarische Kritiker ist Christus, der mehr als irgendein Mensch, mehr als der Empfänger selbst es kann, die Gaben seines eigenen Wirkens schätzt, stolz darauf ist, sie bewundert.« (Ein knappes Jahr später taucht dieser Gedanke noch einmal in einem Brief an Bridges auf: »So wie ich Kritik an Dir übe, übt Christus sie auch, nur richtiger und liebevoller, sowohl an Dir als Dichter wie als Mensch.«) An diesem Punkt schließt sich der scotistische Kreis. Die Individuationen Christi im Betrachteten, im Betrachter und in dessen Werk, kehren zurück zu ihrem Urbild, stellen sich ihm als dem einzig kompetenten Richter. Ohne diesen konsequenten Trost hätte Hopkins die Qual seiner Einsamkeit nicht ertragen. »Denn«, so schreibt er weiter an Dixon, »Enttäuschung und Demütigung verbittern das Herz und verursachen Schmerzen bis ins innerste Mark.«
So ist es nun nicht mehr verwunderlich, wenn dieser Jesuit, der zu Lebzeiten kein einziges Gedicht veröffentlicht, der nicht einmal bei den wenigen eingeweihten Freunden Verständnis und Anerkennung gefunden hat, dessen Werk dreißig Jahre nach dem Tod seines Verfassers die erste Veröffentlichung erfuhr, wenn dieser Jesuit, der seinen intimsten Freund zunächst vergeblich um die »Liebe« bitten mußte, sein Schiffbruchgedicht ein zweites Mal zu lesen, sich 1886 eben diesem Bridges gegenüber vorbehaltlos für den Ruhm ausspricht: »Übrigens möchte ich, sozusagen mit Bedacht und vor Gott, folgendes sagen: ich meine nämlich, Du und Dixon und alle wirklichen Dichter, ihr solltet immer im Gedächtnis behalten, daß der Ruhm, das Bekanntsein, obgleich es an sich eines der gefährlichsten Dinge für den Menschen ist, trotzdem die wahre und einzig zuträgliche Luft, das wahre Element, die richtige Umgebung ist für das Genie und seine Werke. Wofür sind denn Kunstwerke eigentlich da? Um zu erziehen, um Maßstäbe aufzustellen … So ist es nur von geringem Nutzen, Kunstwerke hervorzubringen, wenn das, was wir hervorbringen, nicht bekannt wird, je weiter desto besser, denn nur dadurch, daß es bekannt ist, wirkt es, übt es Einfluß aus, erfüllt es seine Pflicht, tut es Gutes. Wir müssen also versuchen, bekannt zu werden, unbedingt danach streben, Mittel und Wege zu finden. Und dies ohne Marktschreierei im Verfolg und ohne Stolz auf den Erfolg der Sache.« Hopkins zitiert das Neue Testament: »Lasset euer Licht leuchten vor den Menschen, daß sie eure guten Werke (in diesem Fall Kunstwerke) sehen und euren Vater im Himmel lobpreisen (das heißt, damit sie erkennen, daß diesen Werken ein absoluter Wert innewohnt, sie aber zugleich Stufen sind in einer Skala unendlicher und unerschöpflicher Vollkommenheit).«
Erst in den dreißiger Jahren – mehr als vierzig Jahre also nach seinem Tod – ist Hopkins in England zu dem ihm gebührenden Ansehen gelangt und hat die Dichtung seines Landes stark beeinflußt, ohne sie jedoch eigentlich zu prägen. Außer Bridges (Milton's Prosody, 1893 (!); Poems in Classical Prosody, 1903 (!) – Das Beeinflußte wurde also lange vor dem Beeinflussenden veröffentlicht.) sind ihm besonders Eliot und Dylan Thomas verpflichtet. In Deutschland ist er heute noch so gut wie unbekannt, obwohl bei uns bereits zwei Ausgaben seiner Gedichte erschienen sind. 1948 eine sehr verdienstvolle – wenngleich ein wenig auf George hin stilisierende – Nachdichtung von 38 der 51 vollendeten Gedichte durch Irene Behn, die bereits 1935 im Hochland auf Hopkins hingewiesen hat. Diese mit einer ausführlichen und pathetischen Einführung (eben jenem Aufsatz von 1935, der nicht so recht zu Hopkins' Ausspruch paßt, daß auch die Altargefäße »mit einem Fensterleder poliert« werden) versehene Ausgabe wird heute noch vom Claassen Verlag, Hamburg, verbreitet. 1954 erschien dann im Kösel Verlag, München, der Band Gedichte, Schriften, Briefe, der die – in Zusammenarbeit mit Friedhelm Kemp hergestellte – ausgezeichnete Prosaübersetzung von 74 Gedichten (darunter alle vollendeten) durch Ursula Clemen enthält. Die Ausgabe ist von Wolfgang Clemen eingeleitet und von Hermann Rinn herausgegeben. Wir haben aus ihr hier meist zitiert. Sie enthält außerdem die wesentlichen Teile der Tagebücher, der ästhetischen und geistlichen Schriften sowie der Briefe; zudem 15 Bildtafeln. Die Übersetzungen von zwölf der besten Gedichte dieses Buches wurden in den Band 410 der Fischer Bücherei übernommen: Englische Gedichte. Von Hopkins bis Dylan Thomas. Was jetzt noch bei uns fehlt, ist eine Übersetzung der Gedichte, die sich besonders um die Wiedergabe des Sprungrhythmus bemüht, notfalls auf Kosten des Reims.
Daß Hopkins in Deutschland so wenig beachtet wird, liegt außer an der Tatsache, daß er ein Genie ist, wohl daran, daß seine Dichtung zu ausschließlich in katholischen Zusammenhang gebracht wurde. Dabei ist er – darin etwa der Droste vergleichbar – ein Geist, den man hierzulande eher als »protestantisch« anzusprechen geneigt ist. Weil Protestanten seine Leser sein werden, weil der Katholizismus ihn aber posthum gepachtet zu haben scheint, deshalb wird er bei uns nicht gelesen. Sein Sprachgefühl ist dem Luthers – obwohl er diesen »das Untier der wüsten Wälder« nennt – näher und wesensverwandter als etwa dem Stefan Georges. Diese Betonung des »Protestantischen« an Hopkins ist lediglich als ein Gegengewicht gemeint. Es scheint mir notwendig, diesen Dichter der Inspiration aus allem Konfessionalismus herauszuhalten. Er wird das große und ermutigende Vorbild all derer bleiben und werden, die mit ihm wissen, daß in der Gestalt, in der Einzelheit das Wesen sichtbar ist. Wer der Gestalt seiner Person und seiner Dichtung begegnet, wird nach der Verwunderung darüber, daß all dies da war und nur auf ihn, den Leser, den der aufliest, gewartet hat, den gleichen Wirbel erleben, der Hopkins beim Betrachten der Ingestalten widerfuhr:

»All dies, all dies war da, und nur der Betrachter
Fehlte; welche zwéi, wenn sie éinmal sich tréffen:
Kühn und kühner regt Schwingen das Herz
Und wirbelt ihm, o halb wirbelt die Erde ihm fórt unter seinen Füßen.«