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  Titel Arion lebt


Ich wollte mich entschuldigen für diese etwas präpotente Ankündigung dieser freien Rede. Da steht so'n Satz drin: »Wenn alle Götter ihm beistehen…«. Peinlicherweise ist diese Ankündigung weitgehend von mir, aber bei diesem Satz, da, glaub' ich, habt ihr noch was dazugetan. Ich habe nämlich gesagt: »Wenn die Götter mir beistehen…«, ja? Und das ist eigentlich irgendwie eine antikisierende Variante der Phrase »So Gott will«, und sie steht natürlich auch in einer schönen Tradition: sie ist sozusagen die Musenanrufung, ja? Wie es andere gemacht haben zu Beginn längerer Poeme und auch vor dem freien Reden. Auch der Sokrates, den du vorhin erwähnt hast, der hat ja zu Beginn immer gesagt unter der Platane vor Athen zu seinen Schülern: Wir wollen doch die Götter bitten, daß sie uns beistehen, gute philosophische Gespräche zu führen. Und dann kommt der Zikadenmythos und so weiter und so weiter. All diese Dinge werden in diesem Buch auch gestreift. Ja, ich muß dazu noch was sagen. Es ist keine bloße Phrase, wenn man sagt: »Wenn die Götter mir beistehen«. Es ist natürlich 'ne indirekte, ironische Rede, ja? Aber:  S i e  sind die Götter.  S i e  müssen mir beistehen. (Lachen) Ja? Ohne Sie läuft nix! Ich denke, das ist eine alte… ja, Obsession von mir: auf den Augenblick zu vertrauen. Wohl auch Rationalisierung einer gewissen Faulheit, ja? Ich war also nie imstande und bin es heute noch nicht… – und ich wundere mich, daß ich so lange unauffällig beim Rundfunk arbeiten konnte – eigentlich nicht imstande, etwas vernünftige Prosa aufs Papier zu bringen, mit wenigen Ausnahmen. Ich kann es nicht, weil ich auch unzufrieden bin mit dem, was ich schreibe. Also ich hab zu große Skrupel beim Schreiben, ja? Und wenn ich nun so etwas sage und hier auch ankündige, eine freie Rede, dann klingt das so wie eine Ankündigung: Jetzt kommt hier ein Zauberer und wird hier irgendwie Kunststückchen machen. Das will ich eigentlich nicht und kann ich auch nicht, und ich sage noch einmal: Sie sind die Götter, ja.

Auf den Augenblick zu vertrauen… Ich sage, wie ich zu diesem Delphin-Thema gekommen bin. Ich habe vor ein paar Wochen, oder schon vor ein paar Monaten, meinen Sohn Jakob in München besucht, und ich gehe nicht nach München, ohne in die Glyptothek zu gehen und ins Antikenmuseum. Und im Antikenmuseum sah ich einmal wieder, nicht zum ersten Mal, diesen wunderbaren Delphin, der ganz alt ist, also irgendwie 600 Jahre vor Christi Geburt, ja? Ist ein Wein-Gießgefäß. Hab nie genau kapiert, warum, aber das ist so. Ich hab auch nie so nahe rangehen können, daß ich die Öffnungen gesehen habe, worein man den Wein füllt, und wo man ihn rausgießt. Also ein wunderbar geschwungener Delphin als ein Weingefäß. Da hab ich mich dann etwas… ja, ich konnte es nicht wieder vergessen, diesen Delphin. Der hatte es mir sozusagen angetan. Und dabei ist dann ein Gedicht entstanden, das les’ ich am besten gleich mal vor. DELPHISCH ist die Überschrift, und besteht aus drei zweizeiligen Versen.

In Delphi war mir ein Delphin gewogen.
Er hat mich in die Unterwelt gezogen.

Ein Nymphenreigen ziert den Sarkophag.
Die Kore führt mich in ihr Schlafgemach.

Vom Mond getrieben gleiten wir dahin.
Die Lunula beflügelt den Delphin.

Warum hat mich der Delphin in die Unterwelt gezogen? Nicht nur des Reimes wegen, sondern er ist natürlich ein alter Todesbote. Und auch ein alter Hochzeitsbote. Also er ist sowohl Dionysos zugeordnet, der ja sozusagen auch Menschen in Delphine verwandelt hatte – vor Delphi übrigens, ja? –, und auch dem Apoll heilig, der Delphin, und auch der Aphrodite heilig. Also zwischen diesen drei Göttern im großen und ganzen bewegt er sich.

Delphi und der Delphin gehören natürlich zusammen. Die dort verwandelten Seeräuber, ja?, die den Dionysos eigentlich gefangen nehmen wollten, um Geld zu erpressen, die wurden von Dionysos in Delphine verwandelt. Und wie die weitere Entwicklung ist, die könnte man natürlich erzählen. Aber nicht genau, weil, es gibt so viele Erzählungen darüber. Und sie weichen alle ein wenig ab voneinander.

Interessant ist in diesem Zusammenhang noch, daß delphis der Delphin heißt – das Meerschwein übrigens, ja?, wir verstehen unter Meerschweinchen was anderes, aber griechisch nannte man den Delphin sozusagen das Meerschwein –, und dann die andere Sache, und die führt zur Unterwelt und auch zum Schlafgemach der Kore, der Persephone: delphys heißt die Gebärmutter. Also diese Konnotation von delphis und delphys ist nicht nur ausgedacht, sondern die besteht, elementar, ja? Und das griechische Wort adelphos, der Bruder, hat nichts mit Adolf zu tun, gottseidank, sondern adelphos ist der Bruder, der aus dem gleichen… aus der gleichen Gebärmutter kommt. Hat mir gerade jemand gesagt, bei dem ich meinen akademischen Most hole, wie der Peter Hacks sagt. Und der Mann, den soll man auch nennen, das ist nämlich der Kurt Steinmann in Luzern, ein großer Altphilologe und Übersetzer.

Was ist eine Lunula? Eine Lunula ist ein kleiner Mond. Ist ein kunsthistorisch eingeführter Begriff. Und hier ist der Vergleich mit dieser Endflosse des Delphins, das Wort »Lunula«. Und ich bin sicher, daß derjenige, der das hier fabriziert hat, natürlich eine Lunula meinte. Denn so sieht die Endflosse des Delphins und des Wals nicht aus, ja? Wie heißt sie, Fluke oder Finne, ich weiß es nicht genau. Ich lese das Gedicht noch mal vor.

In Delphi war mir ein Delphin gewogen.
Er hat mich in die Unterwelt gezogen.

Ein Nymphenreigen ziert den Sarkophag.
Die Kore führt mich in ihr Schlafgemach.

Vom Mond getrieben gleiten wir dahin.
Die Lunula beflügelt den Delphin.

Ich habe gesagt, daß der Delphin auch der Unterwelt zugeordnet ist. Das kann man sinnfällig sehen und anfassen in dem Landesmuseum in Trier. Da gibt’s die sogenannte »Gräberstraße«. Und in jedem dieser Gräber sind Delphine und Meerungeheuer. Zum Teil reiten Personen auf ihnen, so wie später Arion, ja? Die Sarkophage. Auf den Sarkophagen sind natürlich auch ständig Delphine und Meerungeheuer dargestellt, auf griechischen und römischen. Und Nymphen. Und die haben eine sehr seltsame Eigenschaft: sie entschleiern ihr Gesäß. Seltsamerweise, ja? Sie sind mit allen möglichen Schleiern versehen und so weiter und blicken zur Seite, blicken sich zum Teil auch um, aber sichtbar ist das entblößte Gesäß, ja? Man könnte das sozusagen auch reimen, das würde dann ungefähr so heißen:

DER wogende Delphin als Weingefäß.
Die holde Braut entschleiert ihr Gesäß.

Wie kommen wir zu Arion? Hier hab ich so ein Ding, ich weiß nicht, ob das ganz rumgegangen ist. Das ist ein Pottwal-Zahn. Und der ist graviert mit der Darstellung eines Mannes mit einer Leier, Kithara sehr wahrscheinlich, und das ist offensichtlich Arion, ja? Auf der Rückseite ist ein Gedicht, ein Gebet an Jehova, er möge den Walfängern beistehen, die die Wale harpunieren und so weiter. Wie es bei Melville in Moby Dick beschrieben ist sehr genau. Sehr seltsam: einerseits der Delphin, der den Sänger rettet, den Arion, und andererseits das Gebet, Jehova möge die Harpune lenken, damit sie den Moby Dick erlegen können, ja? Eine sehr seltsame Geschichte, aber es ist so. In Moby Dick, was ich neuerdings auch nochmal gelesen habe mit großem Gewinn, wird übrigens in einem Kapitel beschrieben, daß die Walfänger auf der Rückfahrt – auf der langen Rückfahrt, die sind ja durch alle Weltmeere gefahren und waren zum Teil drei bis vier Jahre unterwegs – daß sie da Pottwalzähne – das ist der Pottwal – graviert haben, sozusagen als Freizeitbeschäftigung. Und die dann später an Land verkauft haben. Das ist eine Art Elfenbein, ja? Das ist so kostbar wie Elfenbein, ein Pottwal-Zahn.

Wie kommt’s zu der Geschichte von Arion, zu dem Mythos? Arion ist ein sagenhafter Sänger. Wahrscheinlich um das Jahr 600 vor Christi Geburt hat er gelebt. Das ist wahrscheinlich, daß er gelebt hat. Und zwar am Hof eines Tyrannen, Periandros heißt der, und das ist ein Tyrann von Korinth gewesen. Und über Arion geht die Sage und die Überlieferung, daß er der Erfinder des Dithyrambus ist, das heißt des Kultliedes für Dionysos. Und daß am Hof von diesem Periander, Periandros, dieses Dionysos-Kultlied und damit der Dithyrambus eingeführt wurde. Woher wissen wir das? Das wissen wir von Herodot. Herodot, der… – seine Geschichtsbücher, die gegliedert sind nach den neuen Musen, wohl spätere Gliederung, neun Kapitel, neun Musen. Ist ungefähr um 450 vor erschienen – er berichtet diesen genauen Mythos. Nämlich, daß dieser Arion am Hof des Periander war, daß er dort reich geworden ist. Durch das Singen dieses Dithyrambos, auf den übrigens die griechische Tragödie zurückgeht, ja? Also im Dionysos-Theater später in Athen aufgeführt und so weiter, die Tragödie und die Opferung des Bockes, des tragos, und so weiter. Das geht im Grunde auf diese dionysische Tradition zurück. Zumal eben auch Dionysos und seine Mänaden, die Bakchen, ja?, in dem Ruf standen, Tiere zu zerreißen und Böcke zu opfern und ein wildes Wesen zu treiben.

Den Dithyrambus metrisch zu beschreiben, bin ich nicht imstande. Das ist sehr diffus, auch die Übersetzungen sind diffus und so weiter. Die griechische Prosodie ist mir nie so geläufig geworden. Man kann ihn aber beschreiben als ein ekstatisches Versmaß. Er gibt die Erregung der Ekstase des Dionysos-Kultes wieder. In Abbrüchen, in Anrufungen und so weiter. Es ist auch ein Lied überliefert, das dem Arion zugeschrieben wird, das ganz sicher nicht von ihm ist. Das lese ich vielleicht am Schluß vor, weil Peter Hacks sagt, man kann es eigentlich erst verstehen, wenn man alles über Arion weiß. Und da ich im Augenblick damit beschäftigt bin, Arion zu vermitteln, will ich das lieber am Schluß vorlesen. Also das ist auch überliefert, in verschiedenen Übersetzungen, sehr umstritten, und so weiter.

Arion also ist, nachdem er reich geworden war in Korinth am Hofe des Tyrannen, nach Italien gegangen, nach Sizilien, nach Tarent, und ist auch dort reich geworden, vermögend. Man muß sich so einen Rhapsoden vorstellen als einen… ja, als ein Mensch, der reich wird dabei, ja? Und er wollte aber zurück nach Korinth und hat nun korinthische Schiffer gebeten, ihn zurückzubringen. Er wollte also auf dem Seeweg von Sizilien nach Korinth zurück. Er wollte von korinthischen Schiffern gefahren werden, weil er denen am meisten getraut hat. Aber die gerade haben ihn auf offenem Meer dann gezwungen… sie wollten ihn ausrauben, und sie wollten ihn töten. Sie haben ihm aber eine Chance gelassen: Wenn du dich selbst tötest, dann werden wir dich an Land bringen und bestatten. – Der Tod war gar nicht so schlimm wie die unterlassene Beerdigung, was ja auch aus der Antike bekannt ist. Also ganz wichtig ist, daß ein Toter, auch ein Ertrunkener, beerdigt wird. – Wenn du das aber nicht machst, wenn du dich nicht selbst tötest, dann werden wir dich ins Meer werfen. Und Arion hat noch versucht… – Was ich Ihnen jetzt erzähle, ist alles Herodot, ja? Das ist die älteste Quelle, gibt’s später noch bei Pausanias und bei verschiedenen Leuten natürlich, in der Griechischen Anthologie. Aber diese ganze Erzählung kommt von Herodot. – Arion hat gesagt: Ihr könnt gern mein Geld haben, meine ganzen Schätze, aber laßt mich am Leben. Dem Braten haben die Seeräuber nicht getraut. Die dachten dann, ja wenn… wenn wir den… wenn wir an Land kommen, dann verpfeift der uns, sozusagen, Sie entschuldigen das Wort. Und sie haben gesagt, nein, das geht so nicht. Dann hat er sich als letzte Bedingung, sozusagen eine Galgenbedingung, ausgebeten, er wollte, bevor er sich selbst tötet, noch einmal in seinem ganzen Ornat den Dithyrambus singen. Mit der Kithara begleitet, wie sie hier auch abgebildet ist. – Ist das Ding eigentlich rumgegangen? Hat's jeder gesehen? Sonst holen Sie sich's nochmal. Aber möglichst keine Materialproben und auch nicht kucken, ob das farbecht ist. Es könnte nämlich vielleicht nicht farbecht sein. – Er hat den Dithyrambus gesungen, auf diese Bedingung haben die Seeleute sich eingelassen. Auch sie, sagt Herodot, wollten doch nochmal das berühmte Hohelied – ja?, ich kenn’ nur die Übersetzung, ich kenn’s nicht auf griechisch – das Hohelied hören. Sie sind ehrfurchtsvoll auf das… auf die andere Seite des Schiffes zurückgewichen, und er hat sein Ornat angelegt. – Das… die sind auch nicht so im Hemd aufgetreten, also die hatten schon irgendwas zum Anziehen, ja? Das ist ’ne feierliche Sache. Das ist ’ne kultische Angelegenheit, ja? – Und hat den Dithyrambus gesungen. Dieser Dithyrambus hat Delphine angezogen. Wir nähern uns dem Delphin. Und danach ist er im vollen Ornat mit der Kithara, mit seiner Lyra, mit seiner Gitarre, nee, nicht, Gitarre ist es nicht, Kithara, sagen wir mal, oder Lyra, ich weiß auch den genauen Unterschied nicht, ins Wasser gesprungen.

Was geschah da, nach Herodot? Ein Delphin, der durch seinen schönen Gesang angelockt war… – Bekanntlich reagieren Delphine tatsächlich auf Musik, das hat man ausprobiert, ja?, und Wale auch. Verständigen sich auch selbst untereinander übrigens durch Töne. Was Melville nicht wußte. Im Moby Dick gibt’s keine Spur davon. Da ist es eigentlich ein stummes Tier, der Leviathan, der Walfisch. – Also, sie haben, nach Herodot, den Sänger aufsitzen lassen, ein Delphin hat ihn aufsitzen lassen. Arion hat den Delphin gesattelt, so wie es hier auf dem Zahn abgebildet ist, und er hat weiter gesungen. Man muß sich das so vorstellen: der Delphin schwimmt an der Oberfläche, darauf sitzt reitend der Delphinreiter Arion. Und der hat seine Kithara, die aussieht… ja, wie so eine Lyra, symmetrisch, hat er gestellt – auf welche Stelle? Auf die Stelle des Blaslochs des Delphins. Von den Walen ist es bekannt, das gleiche gibt’s aber auch bei den Delphinen. So daß jetzt bei dieser Darstellung praktisch die Kithara aussieht… oder die Kithara stellvertritt diesen… wie nennt man das, dieses… diese Blasefontäne, ja? Dazu könnte man auch mal zwischendurch wieder ein Gedicht vorlesen, ja? (Lachen)

Ach, erst noch was anderes: weiter Herodot, ja? Wo bringt der Delphin ihn hin? Der Delphin bringt ihn an den südlichen Zipfel des Peloponnes, nach Tainaron. Tainaron ist einer der Eingänge zur Unterwelt. Das ist eine sehr seltsame Geschichte. Herodot sagt das, viele andere sagen das, und so weiter. Niemand sagt, daß das eine Beziehung haben muß. Wieso bringt der Delphin den geretteten Arion zum Eingang der Unterwelt? Man kann es nur so deuten – und so deute ich es, ich hab aber diese Deutung noch nirgends gefunden, aber ich glaube, sie ist richtig, ja? Nicht weil ich’s sage, sondern weil das irgendwie aus den Geschichten hervorgeht. Wir glauben ja alle nicht, daß der Delphin den Arion hat aufsitzen lassen, ja? Sehr unwahrscheinlich. Aber… und erst recht glauben wir ja wohl nicht, daß der weiter gesungen hat und weiter auf der Kithara gespielt hat und der ihn dann an Land gebracht hat. Dann heißt es bei Herodot, nachdem er mal an Land war, ist er dann zu Fuß nach Korinth gelaufen. Muß man sich mal vorstellen: das geht ganz durch Arkadien durch, ist eine Strecke – man kann sie zu Fuß gehen, am westlichen Rand, ja? Also: natürlich, entmythologisiert, ist Arion ertrunken. Der Delphin hat einen Ertrunkenen gerettet.

Darüber gibt es nun wieder viele Epigramme in der Griechischen Anthologie, daß der Delphin als Bote zur Unterwelt einen Ertrunkenen rettet. Wozu rettet er ihn, wo er doch ertrunken ist? Er rettet ihn für die Bestattung. Der muß nämlich beerdigt werden. Und er kommt an Land. Und da gibt es nun alle möglichen Epigramme in der Griechischen Anthologie, die das in verschiedenen Brechungen zeigen. Daß Delphine zum Beispiel… daß ein Delphin einen Ertrunkenen an Land gebracht hat und dann aber selbst auf dem Land verendet ist. Das heißt, dieser Tausch der Elemente Erde, Wasser, ja? Der Delphin ist übrigens dem Poseidon auch heilig, ja? Wichtig.

Ja, also meine These ist natürlich… es ist keine These, eigentlich ist es selbstverständlich, nur sagt das niemand. Ich habe es noch nie irgend jemand sagen hören, oder gelesen, ja? Es sagt niemand. Das heißt, der Mythos von Arion ist ein Auferstehungsmythos. Den kann man auch so erklären: Herodot spinnt die Geschichte weiter. Er sagt, Arion ist dann nach Korinth gewandert. Offenbar ist sein Ornat gar nicht naß geworden bei dieser Seereise. Er ist also wieder an den Hof des Tyrannen gewandert, zu dem Periander. Und dieser Periander hat später eine Statue des Delphin am Tainaron, am Eingang zur Unterwelt aufstellen lassen. Diese Statue, eine Erzstatue, beschreibt noch Pausanias in den Wanderungen durch Griechenland. Wenn er also ertrunken ist, wie kommt er dann wieder nach Korinth? Der Dithyrambus ist nicht ertrunken. Das heißt, der Dionysos-Kultgesang, der besteht fort. Die Tragödie besteht fort. Das heißt, ein anderer Sänger singt den Dithyrambus in Korinth. Und seitdem viele. Es ist ein Auferstehungsmythos.

Und der Eingang zur Unterwelt ist ja auch noch einmal, leviathanhaft, bei dem Wal. Jonas zum Beispiel wird vom Wal verschluckt, wieder an Land gespien. Also der Wal steht eigentlich für die Unterwelt. Das ist ein Eingang in die Unterwelt, ja? Man kann aber wieder zurückkommen. Jonas kam wieder zurück, und so weiter. Wichtig ist mir nur dieses Detail: wie kommt es zu diesem Mythos, ja?, daß der gerettet wurde? Er wurde wohl nicht gerettet, aber der Dithyrambus wurde gerettet. Und an dieser Stelle… Es gibt unendlich viel. Das ist ganz schön, man kann sozusagen, wenn man sich mit den Sachen länger beschäftigt hat, auf den Quellen schwimmen, ja? Das ist… es ist ’ne gewisse Delphin-Übertragung, ja? (Lachen) Ja, zum Beispiel eines dieser Epigramme sagt, daß eine Nachtigall sich verflogen hat und ermattet niedergesunken ist auf dem Meer, und ein Delphin hat das gehört und hat sie gerettet. Und die Nachtigall saß auf dem Delphin und sang weiter, ja?, und wurde vom Delphin an Land gebracht. Viele solche Geschichten.

Jetzt will ich doch nochmal hier was vorlesen. Der Klaus hat ja auch gesagt, daß es mein Ehrgeiz ist – hat er nicht jetzt gesagt, aber früher oft –, bei den Lesungen, die ich mache, die Gedichte, die eigentlich der Gegenstand der Lesung sein sollten – nicht heute, aber sonst –, daß ich die Tendenz habe, die zu vernichten. Weil ich dauernd rede, ja? (Lachen) Und das kann man natürlich auch als schwatzhaft denunzieren oder beschreiben sogar. Und ich will auch sagen, es ist auch schwatzhaft. (Lachen) Aber schwatzhaft in einer besonderen Weise. Schwatzhaft, so wie ein Schmied schwatzhaft ist, der den Hammer immer in Bewegung hält und nur gelegentlich auf das Hufeisen schlägt. (Lachen) Wenn man nämlich sozusagen nicht in der Bewegung bleibt, dann kommen auch die Gedanken nicht, in Gestalt von Delphinen oder anderen Dingen. Denn auch der Gedanke ist ja etwas, was unter- und aufgeht, und eigentlich ein Ertrinkender. Er ist schnell wieder weg. (Lachen) Ja, das klingt alles so… vielleicht putzig, aber ich meine das wirklich. Der Gedanke ist ein Ertrinkender. Und auch alte Vorstellungen, die Gelegenheit beim Schopf zu fassen – warum? Weil hinten hat er keine Haare, ja? Aber vorne hat er den Schopf. Und wenn er vorbei ist, kriegt man ihn nicht mehr, ja? Dann ist er nämlich untergegangen. Dann ist die… die Gelegeneit, der Kairos, vorbei, ja? Und ich denke eben, und ich sage das speziell zu dir, lieber Chris, daß die von dir an mir oft kritisierte Schwatzhaftigkeit…  Ich soll mich kurz fassen, sagst du immer. Aber wenn ich mich kurz fasse, kann ich auch das Eisen nicht schmieden. Ich bitte dich um Entschuldigung. (Lachen) Was du mir sicher auch gewährst, jedenfalls heute abend. (Zwischenruf: Ausnahmsweise!) Ausnahmsweise, ja?

Also es ist dieses Bild, das auch hier irgendwo rumgeht, das ist also nochmal der Walzahn von hinten und von vorne.

DER WALZAHN trägt als Inbild den Delphin.
Der trägt Arion aus dem Mittelmeer
nach Tainaron, zum Tor der Unterwelt.
Dem Inbild gegenüber eine Schrift:
Walfänger flehen dort Jehova an,
er möge die Harpunen sicher lenken,
auf Sieben Meeren ihren Ruhm vermehren,
mit Seinem Wind die Segel heimwärts blasen.

DER Zahn des Wals ist selber ein Delphin.
Erotischer Apoll, tödlicher Liebespfeil.
Heroisch ist die Leidenschaft zur See.
Der Jäger liebt das Wild, er jagt nach der Erkenntnis
wie Gabriel in seiner Einhornjagd.

WENN der Wal wüßte,
daß Eros ihn harpuniert,
würde er liebestoll.
Es ist aber Apoll.

(Lachen) Der ja bekanntlich nicht nur ein großer Sänger war, sondern ein großer Todesschütze. Und in der Antike ist das Sterben der Helden, der männlichen Helden, dargestellt dergestalt, daß Apollo ihn mit silbernem Pfeil erschossen hat. So wie seine Schwester Artemis die Frauen erschossen hat, zu Tode gebracht hat. Also diese seltsame Beziehung des Harpunierens – Salü Saarbrücken, ja? (Lachen) –, also irgendwie der Pfeil, der durch das Herz geht, und die Harpune muß möglichst auch so tief gehen, daß der Wal stirbt, ja?, das ist diese Beziehung.

Ja, was fehlt noch? Ja, ich habe Ihnen gesagt, daß diese Kithara auf diesem Walbild, auf diesem Inbild auf dem Zahn… Auch ’ne Sache ja?, daß es auf dem Zahn selbst, sowohl als Inbild als auch als eine Inschrift, wenn auch gegensätzlicher Natur, abgebildet ist. Man kann also da auch lernen, was ein Emblem ist. Das ist nämlich ein Emblem. Und es sind… Emblemata, da gehört Inschrift und Motto und Inbild dazu, ja? Das ist ein Inbild. Und wenn Sie’s sehen, werden Sie auch sehen, daß es nicht so aussieht wie ein Delphin. Sondern wie die emblematische Tradition der Delphinvorstellung. Das ist also eine kulturgeschichtlich ganz klare Sache. Der Zahn ist übrigens, meiner Schätzung nach, wenn er echt ist, so alt wie Moby Dick, das heißt ungefähr 1850/51, aus dieser Zeit. Und ich hab Ihnen gesagt, daß die Kithara, wie gesagt, an der Stelle des Blaslochs ist. Darüber noch ein Text, der heißt jetzt abwechslungshalber mal DELPHYS, und das ist eigentlich die Gebärmutter.

Die Melodie entspringt der Fontanelle
des rettenden Delphins. Arion spielt
die Kithara an Stelle der Fontäne.
So reitet er durchs Meer nach Tainaron,
zur Unterwelt, der Quelle des Gesangs.

IST JONAS auferstanden aus dem Wal?
Hat ein Delphin Ertrunkene gerettet?
Das Grab ist leer. Du bist der alte Mensch.
Arion lebt. Das Lied ist nicht gestorben.

Jetzt wär es vielleicht ganz gut, das… den dem Arion zugeschriebenen Dithyrambos vorzulesen, ja? Nachdem nun allerlei gesagt ist, und mehr kann ich auch im Augenblick nicht sagen oder will ich nicht, und die Zeit erlaubt’s auch nicht, wäre es vielleicht mal ganz gut, dieses Gedicht vorzulesen. Wie gesagt, Arion wird datiert, so wie der Periandros auch, um 600, also er ist keine erfundene Figur, es gab ihn, ja? Aber es gibt keinen… keinen Text von ihm eigentlich. Es gibt einen Text, der ihm zugeschrieben ist, der ist aber wahrscheinlich mindestens 200 Jahre jünger. Und es ist ein Gebet an Poseidon sozusagen, ein Hymnos an Poseidon, zu kultischer Verwendung.

Großmächtiger Gott,
wassergewaltiger,
mit goldenem Dreizack,
mit schwangerer Flut
Länderumfasser!
Dich umtanzt
in fröhlichem Reigen,
flossenbeschwingt,
Dein schwimmendes Volk.
Wie schnellt es sich fort, federleicht!
Wie schwingt es behende
der Füße Wurf!
Die nasengestülpten,
die nackenumborsteten
Doggen des Meeres,
die hurtigen Hüpfer,
den Musen hold,
Wellenkinder,
die Zöglinge sie
der Nereiden Amphitrites.
An Pelops’ Geländ haben,
an Tainaros’ Strand sie mich
in Sikelias Meere Verlorenen
freundlich getragen.
Sie boten mir dar
den wölbigen Rücken
und durchfurchten mit mir des Nereus
nie bewandelte Wasserbahnen.
Als tückisch Gezücht
mich aus des Schiffs
meerbefahrendem Haus
hinab in den Schwall
purpurner Flut geworfen.


Ja, das wär’s im großen und ganzen, aber ich sag noch was, noch drei kleine Zeilen. Ich bin natürlich schon lange mit diesen Sachen beschäftigt. Aber ich habe mich mehr mit dieser neuen Bewegung »Rettet die Wale« beschäftigt, also mehr mit Greenpeace und dergleichen, und für mich war es eine… ein schwerer Bruch, nun mal dem Ahab zu folgen und Moby Dick zu jagen. Und sozusagen diese blutrünstige Geschichte… die übrigens auch nur klappt, wenn man den Wal vorher verteufelt hat. Er muß als Leviathan, als Satan verfolgt werden, dann kann man ihn töten. Das ist leider eine traurige Geschichte. Auch menschliche Mörder müssen erst ihre Opfer nach Möglichkeit zu Ungeziefer erklären.

Ein Schlußspruch. Hab ich irgendwas vergessen? Nee? Sie müssen das sagen. (Lachen) Und vor allen Dingen auch, was Sie selbst wissen, ja? Denn ich kann jetzt am Ende doch sagen, und es ist ziemlich ganz am Ende, daß Sie mir beigestanden haben, ja? Also das Gebet an die anwesenden Götter ist nicht umsonst, ja? (Lachen) Ja.

RETTET die Wale.
Helft den Delphinen.
Laßt euch retten von ihnen.

In diesem Sinne dank ich Ihnen. (Beifall)


Teilnehmer: Ich wollte fragen, wie ist das mit dem Dichter, der dichtet, und dem andern, der redet? Also wie geht Rede und Dichtung zusammen? Ist die Dichtung nicht der Augenblick, wo der Redner auf einmal anfängt, zu schreiben, und wo er, wenn er redet, dann zum Manuskript greift, um etwas vorzulesen, was offensichtlich ein anderer Zustand der Sprache ist? Die Frage ist sozusagen, wie führt das eine zum andern und aus dem andern wieder heraus?

AA: Ich bin dir sehr dankbar, daß du mich nochmal auf diese Sache bringst. Ich hab oft gesagt: Literatur ist was für Abwesende. Und nicht etwas für Anwesende. Das Paradox einer Dichterlesung ist: Sie sind alle anwesend, ja? Und… es gibt ein schönes Gedicht von einem… Bartsch, glaub’ ich, heißt der: »Als der Redner sagte, / er wolle jetzt / zur Sache sprechen / fragten einige, / warum nicht / zu uns?« (Lachen) Ja? Das ist sozusagen das grundsätzliche Dilemma einer Dichterlesung. Wenn ich sage, Literatur ist für Abwesende: das ist ja auch unsere ständige Erfahrung mit Literatur. Wenn du Petrarca übersetzt, ist er ja leider abwesend. Du kannst es nicht mit ihm besprechen, ja? Die ganze Literaturgeschichte, soweit… die meisten Leute sind tot, ja? Die Zeitgenossen leben in Hamburg, in München, oder sonstwo, sind also auch nicht anwesend in der Regel. Oder im Ausland, haben gerade ’ne Dozentur in Boston oder weiß der Teufel wo, ja? Sind auch abwesend. Aber ich kann ihre Sachen lesen. Ich kann sogar peinlicherweise Gedichte über die Zerstörung Dresdens in der FAZ lesen, ja? (Lachen) Das kann ich auch, ja? Was… aber was geschieht? Was ist der Unterschied zwischen Rede… der Redende ist ohne Zweifel anwesend. So wie auch, Gott sei es geklagt, der Professor anwesend ist, der die Vorlesung hält. Aber: sie ist keine Rede. Sie ist eine Vor-Lesung, in der Regel, ja? Und eigentlich ist damit der Dozent abwesend. Denn er spricht zwar zur Sache, aber nicht zu uns. Das ist das Problem, ja? Und ich meine nun, in der Literatur muß dieser Mehrwert der Anwesenheit… des Gesprächs, ja?, nämlich der Charme des Gesprächs, ja?, das ist ja eine Überzeugungsrede, die ist skandiert. Die Seele der Rede – der Buselmeier hat das nochmal geschrieben, ich hab das mal gesagt – ist der Akzent. Und zwar der freie Akzent. Die Überzeugungsrede. Die ist aber nur da, wenn man anwesend ist. Diesen Charme, oder was auch immer das sei, diese Beflügelung, wenn einem die Götter beistehen – vorausgesetzt, daß –, wenn einen nicht alle Geister verlassen, den muß man substituieren in der Literatur. Das heißt, der Mehrwert der Literatur besteht darin, die Abwesenheit zu ermöglichen. Also das meine ich.


Teilnehmer: Die schriftliche Sprache ist ja auch etwas anderes wie gesprochene. Und zwar, es gibt da so riesenlange Sätze etwa bei Kant, die wären… das wäre einfach nicht zu sagen, sondern da gibt es ganz andere Verbindungen. Gesprochene Sprache ist im Prinzip kürzer und knapper –

AA: Wenn man nicht geschwätzig ist. Es ist ja auch ’ne Temperamentsfrage. Es liegt ja nicht jedem. So wie es mir nicht liegt und… eigentlich kann ich nicht schreiben. Das ist nämlich auch ein Problem.

Zwischenruf: Du bist zu faul dazu –

AA: Ja, das ist aber… die Faulheit ist auch in irgend ’ner Weise die Rationalisierung einer Unfähigkeit, ja? Ich will auch gar nicht eins gegen das andere ausspielen. Nur, da ich zum Beispiel auch im Rundfunk gearbeitet habe, ist mir das sehr entgegengekommen. Ich brauchte mich also nicht mühsam schriftlich vorzubereiten und so weiter, ja? Ich brauchte nichts zu verlesen. Ich habe auch dort auf den Augenblick vertraut, ja? Und immer gesagt, und sage es auch jetzt wieder, das Wichtigste im Rundfunk war für mich, den Rundfunk zu vergessen. Und über die Sache zu reden und mit den Leuten zu reden, mit denen ich geredet habe, ja? Das ist ziemlich schwer. Am Anfang ist das sehr schwer sogar, weil der Rundfunk eigentlich als Medium ziemlich aufdringlich ist. Das ist jetzt nicht beleidigend gemeint. Das muß er sein, ja? Also ich bitte die Kollegen um Entschuldigung, wenn das irgendwie wie ’ne Beleidigung klang, vor allem draußen im Ü-Wagen. Aber allein daß es das gibt, ja?, ein Ü-Wagen oder ein Studio, und daß es Cutterinnen gibt oder Aufnahmeleiter, die einem sagen: Den Satz müssen Sie aber jetzt nochmal sprechen, weil Sie geblubbert haben. Und ich habe immer gesagt: Ich pflege nicht zu blubbern. Es sind Eure Geräte, die blubbern, und die müßt Ihr so einstellen, daß es nicht blubbert. (Lachen) Und ich kann nicht einen Satz zweimal sagen. Ich bin dazu wirklich nicht imstande. Das ist also nicht nur ein Dünkel, daß ich mir zu gut dafür bin, mich zu wiederholen, sondern ich bin nicht imstande. Ich habe also, wenn ich dazu… manchmal kamen ja auch Leute vom Fernsehen zu mir, und wenn ich etwas nochmal machen mußte, war ich irgendwie nicht sehr erfreut und hab was anderes gesagt. Also es ist ’ne Unfähigkeit. Auch eine Fähigkeit, ja? Aber man soll doch das eine vielleicht nicht gegen das andere ausspielen. Aber der Satz in diesem seltsamen Gedicht »Als der Redner sagte, er werde jetzt zur Sache sprechen, fragten einige, warum nicht zu uns?«, das ist doch irgendwie ganz groß, ja? (Lachen)

Teilnehmer: Arnfrid, du hast vorhin in deinem Vortrag einen Bezug hergestellt von Persephone zu Kore, zur Unterwelt. Das ist jetzt ein ganz bekannter Topos. Wir haben auf der einen Seite Orpheus, der seine Eurydike suchen geht, die nicht wieder rauskommt. Wir haben Jesus Christus, der auch drei Tage hinabfährt in die Unterwelt und angeblich wieder rauskommt, man weiß es nicht so genau. Das ist mir nicht klargeworden. Du hast angedeutet, daß da ein sexueller Aspekt noch mit reinspielt, du hast von Nymphen geredet –

AA: Auch die… auch die Gebärmutter war nach alter Vorstellung was Unterweltartiges. Und schon… es gibt ein Gedicht von der Sappho, ja?, wo das Brautgemach mit dem Brautgemach der Persephone verglichen wird. Hades hat ja bekanntlich die Persephone, die Kore entführt und hat sie… hat sich mit ihr verheiratet sozusagen. Sie war so leichtsinnig, einen Granatapfelkern zu essen. Und eine entführte Frau, die etwas zu sich nahm, schien in der Antike zuzustimmen, daß sie entführt worden ist. Also der große Fehler nach dem Mythos war, daß sie etwas gegessen hat. Und daß es ein Granatapfelkern war, ist dann wieder ’ne Vorstellung, daß man davon schwanger wird. Was nicht erwiesen ist, aber wahrscheinlich. (Lachen)

Noch ein Ding hier zu dem, was der Chris gesagt hat. Eine von mir sehr geliebte Grabschrift – blöder Ausdruck –, in Heidelberg übrigens, in Handschuhsheim und früher auch an der Peterskirche, die kann ich fast auswendig. Die heißt:

Jung vnd gerad war ich fürwar,
Ein Jungfraw ins neunzehend Jahr.
Mein Gott vnd Breutgam mich fordert ab,
Mein Beyschlaff hab Jch in diesem Grab.


Ja? Das ist eine ganz alte Vorstellung, ja? Daß das… auch die Mutter Erde, die dich wieder sich einverleibt. Nachdem du vorher ausverleibt worden bist. Das ist eine ganz alte Vorstellung, ja?, die befremdet vielleicht und… ist ja gar nicht so schlimm. Und so gesehen, versteht man auch noch einmal die Wichtigkeit der Beerdigung. Es ist eine schreckliche Vorstellung, unbeerdigt irgendwo zu verwesen. Auch die Antigone-Geschichte, ja?, wie wichtig das ist. Das muß… auf jeden Fall mußt du in die Erde kommen. Und auch eben vielleicht in die Unterwelt.

Teilnehmerin: Wo stammt denn dieser Zahn her?

AA: Ah, eine interessante Frage, der Zahn, wo der herstammt. Den hab ich mal auf einem Antiquitätenmarkt gekauft und habe ihn sehr bewundert. Und es waren noch andere mit Walfängerschiffen als Inbild, ja?, und der gefiel mir am besten. Und ich hab den schon seit langer Zeit, also sicher länger als zehn Jahre. Sagen wir fuffzehn. Ja, da hab ich ihn gefunden und ihn, nicht umsonst, erworben. (Zwischenruf) Wie bitte? Weiß ich nicht mehr, weiß ich nicht mehr. Antiquitätenmarkt irgendwie, wo, ja halt wo es Antiquitäten gibt, wie der Name schon andeutet.

Ich hielt ihn immer für echt, ja? Neulich, als ich ihn beim Rundfunk fotokopiert habe – und da ist eine dieser Fotokopien, läuft hier rum – ist er mir runtergefallen. Und da ist ein ganz kleines Stück am Rand abgebrochen. Und da ist der Verdacht aufgekommen, daß es sich um eine Replik handelt, denn das sieht mehr aus wie Porzellan. Obwohl, ich bin nicht ganz sicher. Aber mein lieber Freund Ralph Schock, der hat mir natürlich den ganzen Spaß verdorben. Er hat mir nämlich aus dem Internet heruntergeladen, im wahren Sinne des Wortes, aus einem amerikanischen Angebot, just meinen Walzahn. (Lachen) Genau mit der gleichen Inschrift, vollständig identisch. Und da hab ich gedacht, naja, kann man ja auch vollständig identisch machen. Aber das Identische ging so weit, daß alle Bruchstellen (Lachen) an der Oberfläche des Zahnes den genau gleichen Verlauf haben. Sie können das hier vergleichen, ja? Und seitdem… (Lachen) geb' ich ungern zu, es könnte auch eine Fälschung sein. (Lachen) Aber so verdammt echt, wie ich noch selten etwas gefälscht gesehen habe.

Teilnehmerin: Wäre doch interessant herauszukriegen, wo der Ursprungszahn zu finden ist.

AA: Ja, hab ich noch nicht rausgekriegt. Es gibt zwei amerikanische Anbieter. Der eine Anbieter bietet es als Antiquität an, der andere als Replik. Einer lügt. Aber ich nicht. Es ist nämlich egal. Eine sehr gut gemachte Replik und auch eine sehr gute Reproduktion, zumal einer Grafik, ja?, einer Schwarzweiß-Geschichte, das ist… selbst ein Foto davon gibt eigentlich die genaue Struktur wieder und auch die wunderbare englische Inschrift. Also, der Ralph hat versucht, mir das zu verderben, (Lachen) aber so leicht geb ich mich nicht geschlagen.

Teilnehmer: Weiß man etwas von dem Durcheinander, das Arion auf dem Schiff zurückließ, als er runtersprang ins Meer?

AA: Es gibt eine Überlieferung, daß der Arion angeblich zu Fuß nach Korinth gelaufen ist und vor den Schiffern, die ihn sozusagen ins Meer genötigt haben, dort ankam. Als er dort ankam, hat er dem Tyrannen erzählt, was ihm zugestoßen ist. Der hat’s ihm nicht geglaubt. Dann hat er den sistiert, festgenommen, den Arion, so steht’s alles bei Herodot. Er wollte abwarten, bis die Schiffer dort landen. Die wußten ja nichts, daß der gnädig gerettet worden ist. Und da hat er sich scheinheilig erkundigt, der Tyrann: Was ist denn eigentlich mit dem Arion, ihr kommt aus Tarent? und so. Sagen die: Ja, ja, dem geht’s gut. Und: Den haben wir gesehen, der ist bei bester Gesundheit und hat großen Erfolg in Tarent. Ja? Und dann kam hinter einem Paravent Arion vor und sagte: Die haben mich ins Meer geworfen. Oder ins Meer genötigt. Und dann wurden die irgendwie… sagen wir mal gekreuzigt oder gevierteilt oder irgend etwas Ähnliches. Ich nehme an, das Geld haben die dann schon in Umlauf gebracht. Wenn ich der Tyrann gewesen wäre, hätt’ ich das Standbild des Arion, auf einem Delphin reitend, in Tainaron davon finanziert. Das wäre doch eigentlich ’ne gute Verwendung. (Zwischenruf: Das wär’ sehr anständig!) Wär’ anständig, nicht? Ja.

Teilnehmer: Um nicht in deinem Redefluß zu ertrinken – wenn man in einem Redefluß ertrinken kann –

AA: Doch ja, leider. Ja. Kann aber auch gerettet werden.

Teilnehmer: … Es gibt ein Kind des Poseidon und der Demeter. Ein Kind dieser beiden heißt Areion. Und das ist ein Roß. Wie kommt das Roß zum Reiter, das heißt zum Dichter?

AA: Du, ich kann das nicht sagen. Die ganze Mythologie ist ja so ’ne Sache. Niemand kennt sich richtig aus damit, ja? Da wir sozusagen keinen kultischen Umgang mehr damit haben. Ich schlage das immer wieder nach. Und ich hab’s wirklich oft und war schon besser zuhause darin als jetzt zur Zeit, ja? Aber wenn mich einer sowas fragt wie das jetzt, was du mich fragst: ich muß nachschauen, ja? Ich kucke bei Kerényi nach, und ich kucke bei Ranke-Graves nach, ja?, und in verschiedenen mythologischen Sachen, ja? Weißt du auch, was es eigentlich heißt, übersetzt, etymologisch? Weiß ich nicht… weiß niemand. Das muß man nachschlagen, das hilft nichts.

Teilnehmer: Das können wir doch vielleicht vom Homer ableiten. Der sagt immer, daß… die Wellen der See sind die Rosse Poseidons. Das ist ein Zusammenhang. Also die Welle ist das Roß Poseidons. »Die Rosse Poseidons« ist eine poetische Beschreibung des Wellengangs –

AA: Richtig. Auch oft dargestellt. Die Seeungeheuer, das sind zum Teil Pferde mit Unterleib eines Fisches, ja?, zum Teil Löwen sogar und so weiter. Man kann sich das übrigens alles, ich möcht’ das nochmal sagen, in Trier in der »Gräberstraße« sich ansehen, im Museum. Das ist sehr erstaunlich, was da zu sehen ist.

Flügel sind in der Antike auch ein Beispiel für Göttlichkeit, und dann natürlich für die Beflügelung schlechthin, auch, um im Bilde zu bleiben, für das Geschwätz, ja? Auch das Geschwätz braucht seine Flügel, ja? Es muß sich fortbewegen, darf nicht stehenbleiben, und es ist… es ist eine besondere Sache mit den Vögeln. Streng genommen, haben wir alle welche, lassen sie nur nicht sehen. Ja, wichtig natürlich: sehr beflügelt ist auch das Buch. (Lachen) Man kann es aufschlagen, und dann kann das Buch selber fliegen, ja? Es ist praktisch wie Pegasus selber, und, ja, da steht viel drin. Nicht weil’s von mir ist, sondern weil ich das zusammengetragen habe auch, ja? Auch wenn einer denkt, ist er ja nicht der erste, der denkt. Der hat das woher, ja? Nur, diese Vernetzung… auch diese Schwierigkeit mit den mythologischen Lexika. Die richtige Vernetzung, das was mich interessiert, finde ich eigentlich darin nicht, ja? Also zum Beispiel diese Geschichte, die auf der Hand liegt, ja? Eingang zur Unterwelt, Tainaron, überall bekannt. Archilochos, von dem übrigens… über den hier zwei wichtige Reden in dem Buch stehen, ja? – sein Mörder, der Korax genannt wurde, Rabe, sollte sich mit der Totenseele des Archilochos, den er ermordet hat, versöhnen am Eingang zur Unterwelt, am Tainaros. Archilochos selbst hat sich Tettix genannt, eine Zikade. Was im Deutschen meist mit »Grille« wiedergegeben wird, weil wir keine Zikaden haben. Seit Wieland. Diese Orte und diese Überführungen, das ist eine wichtige Sache.

Aber diese Vernetzungen passieren hauptsächlich im Kopf. Und die Gelehrten sind ja auch nicht so fahrlässig wie ich, ja? Der Gelehrte muß absichern, was er sagt. Ich kann mich damit zufriedengeben, zu sagen, es ist ein Gedanke, ja? (Lachen) Schwupps, ist er wieder weg, ja? (Lachen) Der Delphin taucht unter, also… aber der taucht auch wieder auf. Wenn’s gut geht. (Lachen) Das ist der Unterschied. Das ist auch der Unterschied wahrscheinlich zwischen Reden und Schreiben. Also ihr Wissenschaftler – ich wollte ja auch einer werden eigentlich, aber ich hab’s… es ist mir nicht gelungen –, ihr müßt euch absichern.

Zwischenruf: Die Dichter auch!

AA: Ja. Natürlich, was man veröffentlicht, ja, ja. Das ist der Unterschied, ja. Und eben auch an- und abwesend. Aber auch die Dialektik des Anwesenden, der abwesend ist. Und umgekehrt. Ja.