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FRAGEN AN HO CHI MINH

Ho, Genosse,
wir haben jetzt
deine Gedichte übersetzt,
die sympathische Klage
über Hunger, Unfreiheit
und allerlei Schikanen.
Wir kennen dich
als kritischen Schöngeist,
der uns auch wissen läßt,
wie man einen Angriff führt.
Das aber, Genosse,
läßt du uns nicht wissen,
ich meine,
wie man den Dorfältesten
enthauptet, wie
das Blut fließt
für die Freiheit und wie
man sie nicht erlebt.
(Du mußt wissen, Ho,
ich bin Pazifist und kann
kein Blut sehn.) Ich weiß,
Mord ist Mord, und besser
mit dem eigenen Messer
als auf den Knopf drücken,
denn aus der Nähe
sieht es zwar grausamer aus,
aber die Zahl der Ermordeten
ist geringer. Also Ho,
um es kurz zu machen:
Lohnt es sich,
selbst zu schlachten
und selbst geschlachtet zu werden?
Lohnt es sich –
Ho, versteh mich nicht falsch,
wir verehren dich sehr
und wünschen euch glücklichen Sieg –
aber lohnt es sich,
daß du überlebst,
während zehntausende
deiner jungen Landsleute
geschlachtet werden?

August 1968

 
Ho Chi Minh, Gefängnistagebuch, 102 Gedichte
  
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